“Weisse” Kriegsgefangene, “schwarze” Bewacher und der Protest gegen die Umkehrung der kolonialen Verhältnisse

Kriegsgefangenensendung der Dortmunder Kriegsgefangenenhilfe, gelaufen am 21.2.1919. Sammlung Detlev Brum.

Kriegsgefangenensendung der Dortmunder Kriegsgefangenenhilfe, gelaufen am 21.2.1919. Sammlung Detlev Brum.

 

Im”Löwenhof”, heute Sitz der Volkshochschule, befand sich die “Dortmunder Kriegsgefangenenhilfe”, über die die Angehörigen von Kriegsgefangenen Pakete versenden konnten. Dank der Dortmunder Kriegsgefangenenhilfe unter Leitung von “Frau Oberbürgermeister Eichhoff”, wie die damalige Anrede der Ehefrau des Dortmunder Oberbürgermeisters lautete, wurde das “Verzeichnis der Stammlager, Arbeitsstellen und Krankenhäuser, in denen die deutschen Kriegsgefangenen” in Frankreich und Afrika untergebracht wurden, erstellt. Durch Verfügung des Stellv. General-Kommandos des VII. Armeekorps vom 17. November 1917 wurde die Liste zur Veröffentlichung zugelassen. Damit stand für die Dortmunder Angehörigen von internierten Kriegsgefangenen erstmals eine “Hilfestellung für den Postverkehr mit unseren Kriegsgefangenen”, also die exakte Adresse von Casablanca bis Tahiti, zur Verfügung:

  • Verwaltungsbezirk Algerien: 71 Stammlager alfabetisch gelistet zwischen Ain-Beida und Zab-Rhabi
  • Verwaltungsbezirk Marokko: 67 Stammlager alfabetisch gelistet zwischen A‘ Djéma und Volubilis
  • Verwaltungsbezirk Tunesien: 20 Stammlager alfabetisch gelistet zwischen Am Sfaia und Zriba
  • Verwaltungsbezirk Übersee: 17 Stammlager in Dahomey, Franz. Kongo, Franz. Senegal, Madagascar, La Martinique und Tahiti.

Die Bewachung deutscher Kriegsgefangener an der Westfront durch koloniale Soldaten der französischen Armee und der Transport in Kriegsgefangenenlager in Afrika und “Übersee” löste in Deutschland heftige Reaktionen aus und bildete einen wesentlichen Kern der “Schwarzen Schmach” – Kampagne, die zu Kriegsbeginn startete und ihren Höhepunkt in den 1920er Jahren mit der Rheinlandbesetzung (auch) durch Kolonialsoldaten fand. Vor dem Hintergrund 324 deutscher Gefangener in Dahomey und 80 Gefangener in Gaya am Niger wurde durch Verfügung des Kriegsministeriums vom 4.6.1915 als Vergeltungsmaßnahme angeordnet, 15.000 kriegsgefangene weiße Franzosen aus den Lagern Wesel und Münster zu Moorarbeiten abzustellen. Die Kriegschronik der Stadt Münster verzeichnet für den 19. Juli 1915: “Am Vormittag und in der Mittagsstunde wurden mehrere hundert kriegsgefangene Franzosen und Engländer aus den hiesigen Lagern zu den Sommerlagern bei Schöppingen im Kreise Ahaus gebracht, eine Vergeltungsmaßnahme für die außerordentlich schlechte Unterbringung und Behandlung unserer Leute in den französischen Gefangenenlagern in Afrika.”

Insgesamt 17.000 deutsche Kriegsgefangene wurden von der Westfront nach Nordafrika gebracht. Oberstleutnant Dr. von Marval, Abgesandter des Roten Kreuzes in Genf und Teilnehmer einer Inspektionsreise in  Kriegsgefangenenlagern, berichtete am 18.6.1915 im Dortmunder Stadttheater in einer öffentlichen Veranstaltung, dass die Versorgung der deutschen Kriegsgefangenen zufriedenstellend sei und nicht schlechter als in deutschen Kriegsgefangenenlagern. Glaubt man den bürgerlichen Dortmunder Tageszeitungen, dann schlug dem Vertreter des Roten Kreuzes der geballte nationale wie koloniale Zorn entgegen. Die Situation sei absolut nicht vergleichbar, es sei eine “Schmach” von “Wilden” im “dunklen Afrika” bzw. im “glühendheißen Afrika” bewacht und drangsaliert zu werden, eine “Rassenschande” der Franzosen und Engländer.

Obwohl erst wenige Tage zuvor in der Arbeiter-Zeitung, der sozialdemokratischen Tageszeitung für das östliche industrielle Ruhrgebiet, ein Propaganda-Artikel über die Kriegsgefangenen in Dahomey stand, mochte das Parteiblatt nun nicht in die Empörung einstimmen und sprang dem Vertreter des Roten Kreuzes bei. Man sei in berechtigter Sorge, sehe aber keinen Grund, dem unparteiischen Roten Kreuz keinen Glauben schenken zu dürfen. Zu dem Lichtbildervortrag hieß es an gleicher Stelle:

Malerische Bilder zogen vorüber und mancher geriet wohl in recht eigene Stimmung, als er die deutschen Gefangenen in der Wüste Sahara und in anderen Gegenden Afrikas Steine klopfen oder karren sah.”

Das Dortmunder Parteiblatt fügte noch hinzu, dass die deutschen Gefangenen vor allem deshalb nach Afrika gebracht worden seien, um den Afrikanern damit zu signalisieren, dass antikoloniale Aufstände vergeblich und eine Unterstützung des Deutschen Reichs nicht zu erwarten sei.

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