Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde auf dem Gelände des Truppenübungplatzes Ohrdruf in Thüringen eines der großen deutschen Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Es wurden dort ca. 15.000 Gefangenen untergebracht, rund 700 Verstorbene auf dem Gefangenenfriedhof beerdigt.
Wie in allen großen Kriegsgefangenenlagern (z.B. Sennelager bei Bielefeld, Wesel, Münster, Meschede, Köln-Wahn), so waren 1914 auch in Ohrdruf afrikanische Gefangene interniert. Sie gehörten Militäreinheiten der französischen Armee an, die im Elsass und in den Vogesen gefangengenommen wurden. Innerhalb weniger Tage wurden die afrikanischen Gefangenen mit der Bahn von der Westfront in die naheliegenden oder entfernten deutschen Kriegsgefangenenlager transportiert.
Der Einsatz afrikanischer Kolonialsoldaten auf europäischen Schlachtfeldern wurde in Deutschland entschieden abgelehnt. Bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs startete eine Medienkampagne, die einerseits Anleihen an die erste Begegnung von “Weiss” und “Schwarz” im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 nahm (afrikanische Kolonialsoldaten nahmen 1870 an den Kämpfen bei Wörth und Weissenburg teil, gerieten in Kriegsgefangenenschaft und wurden deutschlandweit auf Kriegsgefangenenlager verteilt), andererseits aber auch durch die zunehmende Radikalisierung des antisemitischen wie kolonial-rassistischen Denkens geprägt war. Der Einsatz Schwarzer Soldaten wurde mit dem Begriff “Schwarze Schmach” belegt; ein Begriff, der nach dem Krieg bei der Rheinland- und Ruhr-Besetzung zu großer politischer Bedeutung kam, zum Standard-Repertoire der NSDAP zählte und zwischen 1933 und 1945 fortlaufend für die Propaganda des NS-Regimes genutzt wurde.
Sowohl der Transport als auch der Aufenthalt der afrikanischen (und indischen) Kolonialsoldaten in den Kriegsgefangenenlagern wurde im Ersten Weltkrieg zu einem Medienereignis. Für die deutsche Heimatfront wurde anfänglich die “Bestialisierung” der Schwarzen Kriegsgefangenen propagiert. Berichten zufolge bestaunten viele tausend Menschen die Kriegsgefangenenzüge mit den afrikanischen Soldaten sowohl an den Verpflegungsbahnhöfen als auch an den Ankunftsorten, dort häufig auch mit medial inszenierten Fuß-Märschen in die Lager. Speziell an Wochenenden wurde das massenhafte Anschauen von kriegsgefangenen Afrikanern und Schotten (wg. Kilt) über das umzäunte Außengeländer hinweg zu einer Art von Ersatz für die in Kriegszeiten ausgefallenen “Völkerschauen”.
Die mediale Bestialisierungsstrategie endete bereits im November 1914. Am 15. November 1914 rief der Kalif des Osmanischen Reiches, in Abstimmung mit dem Deutschen Reich, die Muslime in Diensten Englands, Frankreichs und Rußlands, die als Soldaten aus den Übersee- oder Land-Kolonien an West- und Ostfront kämpften, zum Dschihad, zum Heiligen Krieg, auf. Mit der Einrichtung des zentralen Halbmond- und Weinberglagers wurden die muslimischen Soldaten aus den regionalen Kriegsgefangenenlagern wie Ohrdruf nach Wünsdorf bzw. Zossen überführt. In den Spezial-Lagern wurde der Versuch unternommen, die Muslime für den Dschihad zu gewinnen. Die vormalige Täter-Bestialisierungsstrategie wich – vorübergehend – der Opfer-Darstellung der von den feindlichen Kolonialmächten verführten und als “Kanonenfutter” ausgebeuteten Muslime. Im weiteren Kriegsverlauf und nach dem Scheitern der Bemühungen, Kriegsgefangene für den Dschihad zu rekrutieren, nahm die “Schwarze Schmach”-Kampagne durch die einen unbedingten “Siegfrieden” und “Deutsches Mittelafrika”-propagierenden Sektoren des politischen Spektrums wieder Fahrt auf.
Die hier gezeigten Ansichtskarten – durchgängig wurden alle Ansichtskarten von den deutschen Zensur genehmigt, die Motive sind eine politisch gewollte Konstruktion der Wirklichkeit – haben zwei Funktionen:
Neben den Kriegsgefangenenlagern befanden sich in der Regel auch Ausbildungslager der deutschen Truppen. Die Rekruten besuchten die Gefangenenlager, um sich ihre potentiellen Gegner auf dem Schlachtfeld anzusehen. Ob das Zufallsbesuche oder ob sie integraler Teil der Ausbildung und Mobilmachung waren, ist nicht bekannt. Die von den Rekruten versendeten Ansichtskarten nehmen manchmal Bezug auf die gefangenen “Schwarzen”, auf die man unter Berücksichtigung der eigenen Todesgefahr mit besonderer Abscheu herabblickte. Der Versand von Ansichtskarten mit dem Motiv “koloniale Kriegsgefangene” durch Rekruten begünstigte die Verbreitung des “kolonialen Blicks” in der Heimat. Vor allem aber auch: Sie sollen an der Heimatfront die gute Behandlung der Kriegsgefangenen zeigen, die ganz im Widerspruch zur – tatsächlichen oder angeblichen – schlechten Behandlung deutscher Kriegsgefangener stand. Die Botschaft lautete: Deutschland sei das kulturell hochstehende, edelmütige Land, trotz der Bedrohungen durch die “Wilden”.
Zugleich wurden die Ansichtskarten von französischen/englischen Kriegsgefangenen gekauft und als Lebenszeichen an die Angehörigen in der Heimat verschickt. Da die handgeschriebenen Texte der Zensur unterlagen, dürften kaum einmal kritische Bemerkungen versandt worden sein. Übrig blieb die deutsche Bild-Botschaft an die Familien der Kriegsgefangenen: Gut genährte und gekleidete Gefangene, ohne Bedrohung durch friedliche Wachsoldaten. Auch das war ein Teil des Propagandakriegs im Ersten Weltkrieg.
Die Auflösung des Kriegsgefangenenlagers in Ohrdruf erfolgte bereits im April 1916. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs entstand auf dem vormaligen Truppenübungplatz Ohrdruf ein Außenlager des KZ Buchenwald. Weitere Informationen dazu finden Sie in
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Verwendete Quellen:
„Die Kriegsgefangenen in Deutschland“, Siegen-Leipzig-Berlin 1915
Wilhelm Doegen: Kriegsgefangene Völker, Band 1: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland. Berlin 1921
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