Die kolonialpropagandistischen Akteure in Dortmund

Dortmund – das mag heute überraschen – war eine frühe Hochburg der deutschen Kolonialbewegung. Doch nicht „die Dortmunderinnen und Dortmunder“ sondern die Handelskammer Dortmund und große Teile der Dortmunder Wirtschaft forderten seit Ende der 1870er Jahre den „Eintritt Deutschland in den Kreis der Kolonialmächte“. Bereits vor Beginn der unmittelbaren deutschen Kolonialherrschaft (1884) wirkten Vertreter der Dortmunder Wirtschaft im Westdeutschen Verein für Kolonisation und Export mit, einem der ersten und wirkmächtigsten Kolonialvereine, der sich vor allem aus den Industriellen des Rhein-/Ruhrgebietes zusammensetzte. Die ersten kolonialpropagandistischen Veranstaltungen in Dortmund wurden vom Westdeutschen Verein durchgeführt, darunter ein Vortrag über die unterschiedlichen Formen der Kolonisation, gehalten vom Geschäftsführer der Handelskammer Dortmund, Ernst Bernhardi, der auch Mitglied im Vorstand des Westdeutschen Vereins und des späteren Deutschen Kolonialvereins war.

Deutsche Kolonialgesellschaft

Im Jahre 1888 wurde die Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft gegründet, in der die 1887 gebildete Ortsgruppe der Gesellschaft für deutsche Kolonisation aufging. Der Dortmunder Zweig der fortan wichtigsten Organisation der deutschen Kolonialbewegung existierte in Dortmund durchgehend bis ca. 1941. Der Gründungsvorstand der Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft im Jahre 1888 liest sich wie ein „Who is who“ des Dortmunder Establishments, z. B. Hoesch, Schüchtermann, Kleine, Wiskott oder Brügmann – keine Pohlbürger, sondern global agierende Unternehmer. Nahezu alle Mitglieder der Handelskammer waren zugleich Mitglieder der Kolonialgesellschaft. Hinzu kommen Funktionseliten und Bildungsbürger: Bürgermeister und hauptamtliche Mitglieder des Magistrats, Bergräte des Oberbergamtes, leitende Post- und Bahnbeamte, Bankdirektoren, Schuldirektoren und Oberlehrer an höheren Schulen, Offiziere des Wehrkommandos Dortmund. Nur vereinzelt verfügten sie über eigene Erfahrungen in den deutschen (oder anderen) Kolonien.

Mehr als 40 Jahre lang hat die Kolonialgesellschaft vor allem Informationsveranstaltungen durchgeführt: Zunächst über „die neuen Länder“, wie man die deutschen Kolonien manchmal nannte, später über die Rückgabe der deutschen Kolonien und schließlich hieß es im Überschwang der Begeisterung auch schon mal „Heia Safari mit Adolf Hitler“. An allen propagandistischen Höhepunkten der Kolonialbewegung waren die kolonialbegeisterten Dortmunderinnen und Dortmunder aktiv beteiligt: Unterstützung der Emin-Pascha-„Expedition“, Burensolidarität, moralische und finanzielle Unterstützung von deutschen Kriegsfreiwilligen in den Kolonialkriegen (v.a. China und Südwestafrika), Unterstützung der „Kolonial-Deutschen“, Rückgabeforderung der Kolonien, Kampagne gegen „die schwarze Schmach“, um dann ab 1933 zum Höhenflug anzusetzen, denn erst dann startete die Kolonialpropaganda richtig durch.

Frauenverein der Deutschen Kolonialgesellschaft

Die organisierte Kolonialbewegung war in Dortmund wie anderenorts zunächst eine Männerdomäne; Frauen wurden sogar von Informationsveranstaltungen ausgeschlossen. Die Gründung eines pro-kolonialen Frauenvereins in Dortmund scheiterte zunächst Ende der 1880er Jahre. Erst 1910 wurde eine Abteilung Dortmund des Frauenvereins der Deutschen Kolonialgesellschaft gegründet, der dann ebenfalls bis ca. 1941 ununterbrochen tätig war. Die Akteurinnen waren v.a. die Ehefrauen der stadtbekannten Industriellen oder Magistratsmitglieder. Die Tätigkeit der bürgerlichen Frauen bezog sich häufig auf die Unterstützung von Sammlungen für caritative Projekte in den Kolonien, die der Pflege des Deutschtums der Kolonial-Deutschen dienen sollten.

Kolonialkriegervereine

Die dritte Gruppe der organisierten Kolonialbewegung bildeten die Kolonialkriegervereine. Bereits im 19. Jahrhundert waren Dortmunder an den ersten deutschen Kolonialkriegen in Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika beteiligt. Mehr als 170 Kriegsfreiwillige aus Dortmund und Umgebung wurden 1900 allein mit der ersten Entsendeaktion nach China verschifft. Die Rückkehrer gründeten 1902 in der Gaststätte „Bierstall“ den Verein der China-Kämpfer, den ersten Dortmunder Kolonialkriegerverein. Die Rückkehrer aus dem zweiten großen Kolonialkrieg in Südwestafrika fusionierten 1907 mit den „China-Kämpfern“ zum Verein der Kaiserlichen Schutztruppen in Afrika und China. Vereinslokal wurde die Gaststätte „Zum Afrikaner“, Friedrichstr. 3, die von einem zurückgekehrten Kolonialsoldat aus Südwestafrika gegründet wurde (die Gaststätte bestand unter diesem Namen noch bis Ende der 1970er Jahre).

Die Mitglieder waren in der Regel Kriegsfreiwillige, einfache Soldaten mit Erlebnissen aus den Kolonialkriegen in Asien und Afrika. Sie entwickelten bereits vor 1914 – getrennt vom Bürgertum – den „Kolonialismus des kleinen Mannes“, der Kolonialhelden-Selbstinszenierung und imperiale „Begeisterung“ verband. Nach dem 1. Weltkrieg kamen weitere Soldaten aus den Schlachtfeldern Afrikas, Asiens oder auch des Balkans hinzu. Unter den Vorständen lassen sich häufig untere und mittlere Beamte aus Polizei, Bahn und Post finden, sowie Facharbeiter und kleine Selbständige (z.B. Handwerksmeister). Es existierten bis Ende der 1930er Jahre mehrere Vereine, die teilweise auch andere Mitglieder zuließen, die z. B. längere Zeit im Ausland lebten. Ohne Zweifel gehörten die Kolonialkriegervereine in der Weimarer Republik dem anti-demokratischen Spektrum an und waren häufig auch Mitglieder des „Stahlhelm“. Im Einzelfall nachweisbar sind Mitgliedschaften in Freikorps und anschließende – also sehr frühe – Mitgliedschaften in der NSDAP und SA.

Noch bis Mitte der 1950er Jahre nehmen Dortmunder Kolonialsoldaten an (west-) deutschlandweiten Treffen eines Kolonialkriegervereines teil.

Kolonialjugend

Die kolonialen Jugendgruppen waren in Dortmund eher schwach ausgeprägt. Zwar gab es bereits vor 1914 erste – kolonial-inspirierte – Pfadfinder- und Vortrupp-Gruppen sowie Gruppen der Jungdeutschland-Bewegung, jedoch erst Ende der 1920er Jahre entstanden in Dortmund-Hörde zwei explizite Kolonialjugendgruppen. Da sie 1933 offensichtlich zu schwach waren, um ein Eigenleben als koloniale Scharen innerhalb der Hitler-Jugend fortsetzen zu können, war die aktive Zeit begrenzt und es ist wenig über die Jugendgruppen bekannt.

Koloniale Bürgerinitiativen

In Dortmund gab es auch koloniale Bürgerinitiativen, die in Form von lose organisierten Aktionsgruppen tätig waren. Die erste Initiative war eine Ausgründung der Deutschen Kolonialgesellschaft, das Dortmunder Emin-Pascha-Komitee. Die 1888 und 1889 bestehende Initiative sammelte Geld zur Ausrüstung der sogenannten Emin-Pascha-Expedition (u.a. Benefiz-Konzerte, Veranstaltung mit Carl Peters, Sammellisten). Die Dortmunder Ortsgruppen des Katholischen Afrikavereins (1888) und des Evangelischen Afrikavereins (1893) könnten – da nicht in staatlicher oder unmittelbar kirchlicher Trägerschaft – hinzugezählt werden, wobei der Evangelische Afrikaverein deutlicher die Ziele der Kolonialbewegung verfolgte. Die Burensolidarität, die Unterstützung der Buren im Krieg gegen England ab 1899, führte auch in Dortmund zu bürgerinitiativ-ähnlichen Buren-Solidaritätsgruppen, die im Anschluss an die unterschiedlichen nationalen Organisationen tätig wurden, darüber hinaus aber auch zu einer Vielzahl von zeitlich befristeten Sammelgruppen (von geselligen Runden in Gaststätten bis hin zum Roten Kreuz). Eine nicht-staatlich oder von der Deutschen Kolonialgesellschaft gelenkte Solidaritätsszene entwickelte sich auch zur Unterstützung der Deutschen Kriegsfreiwilligen in China und in Südwestafrika, eine der tragenden Gruppen war das Dortmunder Rote Kreuz.

Beschäftigte in kolonialen Unternehmen und Reisende

Eine weitere wichtige Akteursgruppe darf nicht vergessen werden: Beschäftigte in kolonialen Unternehmen und Reisende aller Art, die nach Rückkehr aus den Kolonien „Zeugnisse“ ablegten. Sie treten nicht organisiert auf, sind aber fortlaufend wichtige Informationsquellen über die Kolonien. Als Vortragende in Dortmunder Vereinen, wie z. B. die der Kaufmannsgehilfen, Stenografen, Turner, Karnevalisten, Vegetarier, Tierschützer, Vogelzüchter, Knappen oder auch der vielfältigen evangelischen und katholischen Vereine (Arbeitervereine, Gemeindevereine, CVJM und andere Jugendgruppen, Blaukreuzvereine bis hin zu polnischsprachigen evangelischen Masuren oder “Taubstumme”), erscheinen Sie in überraschend großer Anzahl unterhalb der „Kolonialexpertenebene“ und berichten über den Bau von Eisenbahnen, Brücken und Zechen, über Missionsstationen und Krankenhäuser, über „Leben und Treiben der Einheimischen“. Nicht selten waren solche Vorträge kolonial-rassistisch und (später) völkisch geprägt, aber auch moderate, wenngleich systemimmanente Kritik an der deutschen Kolonialpolitik wurde geäußert.

Kolonialmissionsbewegung

Eine gemeinsame Schnittmenge wiesen Kolonialbewegung und Teile der Missionsbewegung auf. Besonders im evangelischen Milieu etablierte sich vor dem 1. Weltkrieg aus der Idee der Weltmission zunehmend eine deutsch-national aufgeladene Kolonialmission - eine Form des Protestantismus, für die in Deutschland und so auch in Dortmund leider keine „Bekennende Kirche“ entstand. Die Kreissynode Dortmund der Evangelischen Kirche finanzierte schwerpunktmäßig die Herero-Mission in der deutschen Kolonie Südwestafrika (heute Namibia), so dass in Dortmund häufig gemeinsame Aktivitäten von Kolonial- und Missionskreisen stattfanden. Kolonialbegeisterte Christinnen und Christen lassen sich insbesondere im Evangelische Afrikaverein (der Dortmunder Leiter war gleichzeitig Vorsitzender der Kolonialgesellschaft), in den Dortmunder Missionskreisen der Deutsch-Ostafrikanischen Mission (Bethel-Mission), aber auch in den Unterstützerkreisen der Rheinischen Mission finden. In Einzelfällen sind von (kolonial-)missionsinteressierten Pfarrern und Missionsgruppenaktivisten personelle Kontinuitäten vom Kaiserreich zu den „Deutschen Christen“, aber auch zur Bekennenden Kirche, feststellbar.

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