Hagenbecks Indien-Karawane? Krieger des Mahdi? Bischari-Karawane? Viele der europaweit tourenden Schaustellerinnen und Schausteller aus sogenannten Völkerschauen gastierten auch in Dortmund, häufig im Fredenbaum. Wer weiß mehr? Fotos? Plakate? Postkarten?


“Tan Kwai’s Chinese Troupe” - hier zu sehen in einem Video von Ann Marie Fleming, der Ur-Enkelin des Artisten Long Tack Sam -, gastierte im März 1908 auch im Olympia-Theater, einem der großen und überregional bekannten Varietés in Dortmund, in denen bereits seit den 1870er Jahren internationale Künstler auftraten. Die Grenze zwischen “typischen” Völkerschauen und den Shows von Akrobaten und anderen Künstlern aus exotisch anmutenden Ländern war fließend. Artisten wie die “Tan Kwai’s Chinese Troupe” traten als anerkannte Künstler in Varietés und im Zirkus auf, andere aber auch in Jahrmärkten und – manchmal nur vorübergehend – im Rahmen von Völkerschauen.

In Dortmund gastierten zwischen 1879 und 1914 eine Reihe sogenannter Völkerschauen zur Unterhaltung der Dortmunderinnen und Dortmunder. „Völkerschau“ ist ein relativ unscharfer Oberbegriff für unterschiedliche Typen von inszenierten Zurschaustellungen von Angehörigen eines exotisch anmutenden Volkes aus Afrika, Asien, Amerika oder auch ethnischen Minderheiten “aus den Rändern” Europas. Je nach Konzept wurden z.B. Musikstücke, Tänze und Kriegsspiele vorgeführt oder der Auf- und Abbau von Häusern, domestizierte Tiere und Gegenstände des alltäglichen Lebens präsentiert. Die Schaustellerinnen und Schausteller besserten ihr Einkommen mitunter auf durch den Verkauf (kunst-)handwerklicher Arbeiten, einheimischer Münzen oder indem sie sich gegen Honorar fotografieren liessen.

Klar ist, dass die Völkerschauen in der Regel lediglich bereits bekannte Klischees bedienten, oder mit anderen Worten: “Dargestellt” wurde, was sich gut “vermarkten” liess. Die Mehrzahl der Völkerschauen stand im Kontext des europäischen Kolonialismus, weil sie – scheinbar oder tatsächlich – aus den Kolonien stammten, vor allem aber setzte eine Vielzahl der Völkerschau-Konzepte an bereits bekannte Figuren/Konflikte/Skandale an. Häufig wurde mit der Art der Zurschaustellung die scheinbare (technisch-kulturelle) Überlegenheit des Westens/ des Nordens befördert und eine abwertende, kolonial-rassistische Distanz zwischen “uns” und “denen” forciert … aber das gelang keineswegs immer. Nicht nur, dass den Leistungen der Schaustellerinnen und Schausteller häufig Respekt gezollt wurde. Hier und da wird vermerkt, dass die Begegnung keineswegs wohl nur unter “kolonialen” Vorzeichen stattfand, sondern Dortmunderinnen und Dortmunder sich mit den “exotischen Herrschaften” in lustiger Bierrunde in einer der Gaststätten in der Münsterstraße trafen und – so die Dortmunder Zeitung zur Somalitruppe 1890 – “man sich oft des unheimlichen Gedankens nicht erwehren könne, daß die schwarzen Gesellen sich über die Dortmunder recht herzlich lustig machen“.

Manche Schaustellerinnen und Schausteller in typischen Völkerschauen waren professionelle Artisten, Dompteure, Handwerker, Musiker, Tänzer, Sportler usw., die vertraglich geregelte Leistungen zu erbringen hatten und vom Dortmunder Publikum für ihre Leistungen hoch anerkannt wurden. Andere Schaustellungen sollten biologistisch-rassistische Klischees bedienen; die Menschen wurden mitunter als „missing link“ zwischen Menschenaffen und weißen Herrenmenschen ausgestellt. Viele Schaustellerinnen und Schausteller kamen freiwillig, manche aber auch unfreiwillig nach Europa. Gelegentlich hatten sie überhaupt keine Beziehungen zu der ausgestellten „Kultur“, sie waren heute „Schuli-Krieger“ und morgen „Krieger des Mahdi“, heute “Sioux-Indianer” und morgen “Mexikaner”. Und auch manche Weisse schminkten sich braun oder schwarz, wenn die Show und das Publikum es erwartete.

In Dortmund gastierten die Völkerschauen an verschiedenen Orten: Im Sommer häufig „open air“ in Vergnügungsparks (vor allem im Fredenbaum, über den im Dortmunder Stadtführer geschrieben wurde, dass dort die ”Repräsentanten wilder Völkerschaften” auftreten würden), Kirmessen, Jahrmärkten oder Zirkussen, im Winterhalbjahr eher in kleinen Gruppen in Varietés und Spezialitätentheatern. Einzelne Teilnehmer von Völkerschauen verdingten sich aber auch als Bedienung oder als Erdnussverkäufer in Varietés.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie Hinweise, Postkarten oder Fotos von Völkerschauen in Dortmund haben und uns zur Verfügung stellen könnten. Bitte nehmen Sie ggf. mit der Kommentarfunktion Kontakt auf. Eine Liste von Völkerschauen in Dortmund finden Sie nachfolgend:

 Völkerschauen in Dortmund – eine (unvollständige) Übersicht

Stand: 10.11.2012

“Zulu-Kaffern-Krieger-Truppe”
Fünf Personen, 29. und 30.08.1879, bei Kühn (vorher Wuppertal-Elberfeld, hinterher Aachen)

Original-Araber-Troupe Achmed Ibrahim
5 Personen, im Februar 1884, Wenckers Konzert-Saal, Münsterstr. 16

17 Natal-Kaffern und ein Hottentotte
18 Personen, 09.-15.09.1886, Fredenbaum

“Ostafrikanische Wakamba-Neger-Karawane”
Mitte Dezember 1889, Reichshalle, Westenhellweg

Ostafrikaner-Truppe (Somali)
23. bis 28.07.1890, Fredenbaum, “26 Eingeborene des Somali-Landes, 18 Männer, 5 Frauen, 3 Kinder, Waffenschmiede, Bogenschützen, 5 Reitdromedare, 8 Jagdpferde, 6 Strauße, Schafe, Ziegen usw.” Von Dortmund reiste die Truppe weiter nach Paris.

Buffalo Bill’s Wild West
13. bis 16. Mai 1891, Fredenbaum

Die Krieger des Mahdi (oder “Sudanesen-Karawane”)
19.8. bis ca. 29.8.1898, Schützenhof, Hobertsburg (Nähe Fredenbaum), ca. 37 Personen, vorher Basel und Düsseldorf, anschließend Münster.
Original-Fotos der “Krieger des Mahdi” im Staatsarchiv Basel (Aufführungsort: Zoologischer Garten Basel):
Krieger des Mahdi in Basel – in Dortmund wird es ganz ähnlich ausgesehen haben
Krieger des Mahdi – mit Dackel
Krieger des Mahdi – in einer Pause zwischen zwei Aufführungen
Krieger des Mahdi – Tanzvorführung

Bischari-Lager (bzw. Sudanesenkarawane, „Söhne der Wüste“, „Nubier“)
Fredenbaum, Juni 1899. Leiter der Gruppe war der Italiener Guiseppe Cuzzi, zuvor “15 Jahre Gefangener des Mahdi”.
Bischari-Lager in circusmuseum.nl
Original-Fotos des “Bischari-Lagers” im Staatsarchiv Basel (Aufführungsort: Zoologischer Garten Basel):
Verkauf von Handwerkskunst
Guiseppe Cuzzi (links) mit seinem Kind
Verkäuferin in einem umzäunten Areal, im Hintergrund Besucher
Verkauf von Töpferwaren
“Begegnung” am Zaun
Am Verkaufsstand

Circus M. Schumann
04.-21.08.1901, Aus der Anzeige in der Dortmunder Zeitung: Neue Einlagen: Krieg in China. Prinz Tuan und die Boxer. Li-Hung-Tschang mit der kaiserl. chinesischen Garde. Außerdem: Borneo, der Affenmensch

Bertola und Maximo – die letzten lebenden Azteken
16.11.1901: Reichshalle, Westenhellweg

„Malabaresen“ (Nitawelta Ukkuwa)
31.08.1901 zur Eröffnung der Walhalla. „Auftreten der echten indischen Konzert-Gesellschaft „Malabaresen“ (Nitawelta Ukkuwa)“
Postkarte der Malabaren-Musikgruppe

Hadji Mohamed
10. – 15.05.1902, Circus Cesar Sidoli, darin: “Erstes Debut d. weltberühmten Araber-Troupe Hadji Mohamed. 6 Personen, Söhne der Wüste, d. best. Springer d. Gegenwart”
Hadji Mohamed in circusmuseum.nl

Deltorelli-Quartett
27.12.1902, „Komisch, ulkig, drollig, witzig, besonders der schwarze Kaffer“

Cake Walk
Oktober 1903, Walhalla, Rheinische Straße. Tremonia schreibt: “Sensationsnummer Cake Walk. Die Original amerikanischen Neger und Negerinnen singen gut. Der Tanz wirkt unbeschreiblich durch seine Originalität. Eine feenhaft beleuchtete Scenerie führt uns in die Baumwollpflanzungen Amerikas ein.”

Prince Ishmael
Oktober 1903, Olympia-Theater: “Prince Ishmael. Der weltberühmte Indier. Der größte Zauberkünstler der Welt.”

Troupe Alexandroff
Oktober 1903, Olympia-Theater: T”roupe Alexandroff, Russisches Gesang- und Tanz-Ensemble”

Chung, Ling und Sarro
Oktober 1903, Bergischer Hof: Chung, Ling und Sarro, japanischer Musikal-Akt

The Schillys und The Yamamotos
Dezember 1903, Olympia-Theater: “The Schillys, 1 Abend am Ufer des Nils”. “The Yamamotos, Kaiserlich japanische Feuer- und Zauberkünstler”

Singhalesen-Truppe Radjah Vodihang
Januar 1904, Olympia-Theater, Am Burgwall 9: „Die Welt-Attraktion Mr. Oxford mit seinen Wunder-Elefanten. Im Olympia-Tunnel: Auftreten der Singhalesen-Truppe Radjah Vodihang (Royal Indienne) in ihren nationalen Tänzen, Sitten und Gebräuchen. 1 große Kapelle, 1 Tanz- und Gesangs-Ensemble.”

Mirza Golem
März 1904, Olympia-Theater: “Mirza Golem. Erste ägyptisch Ikarische Pantomime: Des Muselmanns Traum!”

Tschin-Maa mit seinen 8 heiligen Tschungusen
Mehrere Tage um den 28.10.1905, Olympia-Theater
Tschin-Maa in circusmuseum.nl

„Original-Indianer-Truppe unter Führung des Häuptlings „Deer“, der letzte vom Stamme der Mohawks“
01. bis 15.11.1905, Walhalla
Fotos von Princess Esther White Deer (GettyImages)

„Bouzowak Mourzuk, der Löwe von Marokko“
„Anglo, Martinique“ oder Anglio Anastase, Champ. von Martinique
Ringkampfwettbewerbe u.a. im Januar 1906 und Januar 1907, Walhalla. Darüber hinaus diverse andere Ringer aus Turkestan, Kasan, Kosaken usw.

„Die Helden von Port Arthur, 18 original japanische Soldaten“
15.01.1906, Olympia-Theater

“The Brittons Negerduett”
Mehrere Tage um 15.01.1906, Olympia-Theater, „N…. und Creolin“, das beste schwarze Excentric-Duett in ihren urkomischen Aufführungen“

„Prinzess Rajah. Preisgekrönte Bravoursängerin“
03.02.1906, Walhalla

Creole Patti
Um den 24.03.1906, Olympia-Theater

Romasakoffs Original 11 Ural-Kosaken
Um den 31.03.1906, Olympia-Theater
Romsakoffs Kosaken in circusmuseum.nl

„Jiu Jitsu Konkurrenz“ mit japanischen Gegnern
April 1906, Olympia-Theater

Hagenbeck’s grosse Schaustellung „Indien“
30.05.-12.06.1906: Gustav Hagenbeck. Fredenbaum, über 75 Teilnehmende, Kunsthandwerker, Artisten, Musikgruppe. Inkl. Elefanten, Schlangen etc.

„Die streikenden Neger aus London und Hamburg kommen heute“
06.03.1907, Walhalla

Deutsch-Südwestafrika
März 1907, Reinoldihof, „Original Hereros und Bondelzwarts in ihren heimatlichen Sitten und Gebräuchen“. Farmer-Kapelle aus Keetmanshoop, Schutztruppen-Kapelle, 50 Personen

The Mohamed Ben Mohamed
Rund um den 01.02.1907, Olympia-Theater, „Troupe of 8 Genuine Sousa Arabs”

Die Verbrennung der indischen Witwe des Rahjah
Mehrere Tage Mitte Juli 1907, Walhalla, „Mimische Tanzszene mit Gesang. Saffira Pradjaih, indische Pantomimistin und Grotesktänzerin.“

7 Original-Japaner (Kitasouka-Troupe)
Ende August bis Mitte September1907, Olympia-Theater

Sanoba und Abdul Hamid
Um den 12.09.1907, Walhalla, arabische Zauberer

Monah Minah Kamajoeh
Um den 16.09.1907, Olympia-Theater, „ausgezeichnete japanische Kunst-Sängerin“

Wallini und Maga, indische Gaukler
Ende Februar 1908, Walhalla

Chinesen-Truppe Tan-Kwai
März 1908, Olympia-Theater
Tan-Kwai in You-Tube
Comic
The Magical Life of Long Tack Sam

„Black and White“
16.03.1908, Walhalla, „musik. Exzentriques, mit ihrem lebenden, tanzenden Esel“

“Arabella Fields, die schwarze Nachtigall”
Januar 1909, Olympia-Theater
Arabella Fields singt “Because I love you” (Aufnahme aus 1907)

Kirschblütenfest
25.02.1909, Olympia-Theater, „zu Ehren Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Kooh-I-Noor“

Orientalisches Ballett Semiramis
Um den 03.02.1910, Olympiatheater

„Saharet“ und „Orient. Phantasiegymnastiker Ali Ben d’Arak“
28.02.1910 und 01.03.1910, Olympia-Theater

Zirkus Charles, u.a. “mit Chinesen und Javaner – Truppen”
Mehrere Tage um den 29.03.1910

Gustav Hagenbecks “größte Indienschau der Welt”
04.-09.10.1910: Gustav Hagenbecks “größte Indienschau der Welt” im Dortmunder Fredenbaum. “Ca. 100 Indier (Männer, Frauen, Kinder), Elefanten, Bären, Affen, Schlangen ec.”. Fünfmal täglich Programm: “Palastfest am Hofe des Maharadscha von Maisur” und “Der Markt zu Madras”.

Circus Sarrasani
Juni 1911, Hobertsburg, mit Sioux-Indianern

“Kongo-Negerdorf”
Ab Ostern 1912, Zur Eröffnung des neuen Vergnügungsparks Fredenbaum: „Negerdorf“ mit „30 Negernn aus dem Kongo, Männlein und Weiblein, Buben und Mädels“.

“Fred Blunt, der kleinste Neger-Boxer”
George Palmer, Box-Champion von Jamaika
05.05.1912, Fredenbaum

“Charles Burkett’s Neger-Truppe
Dortmunder Herbstkirmes 1912, 4 Männer, 1 Frau, 2 Kinder. Impressario: Friedrich Franke, Uhlandstraße 10, Dortmund.

Afrikaner-Dorf
Ca. 13. bis 24.03.1913, Reinoldushof, „40 Wilde, Somali-Truppe“

Zirkus Charles
12. bis 20.04.1914, u.a. „Sioux, Marokkaner, Chinesen, Inder, Araber. 400 wilde Tiere.“

Circus Sarrasani
1. bis 7. Juli 1914, u.a. mit Sioux-Indianern

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