Dortmund - das “Hinterland der (Kolonial-)Mission”

"Weisser, kauf mich doch!" Postkarte des Kindheit-Jesu-Vereins. Sammlung K. M. Kreis

"Weisser, kauf mich doch!" Postkarte des Kindheit-Jesu-Vereins. Sammlung K. M. Kreis

Die evangelische Heidenmission in Afrika oder Asien fand einen starken Widerhall im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben Dortmunds. Nicht etwa, dass die evangelische Synode Dortmund einen bedeutenden Beitrag zur Heidenmission/ Kolonialmission geleistet hätte. Aber in Dortmund – dem Hinterland der Mission, wie man damals sagte – formierten sich bereits ab den 1840er Jahren die Unterstützerkreise für die evangelischen Missionsgesellschaften, fanden die ersten Missionsfeste statt und wurden Missions-Kollekten eingesammelt. Zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft 1884 ist z. B. Deutsch-Südwestafrika für evangelische Christen in Dortmund kein unbekanntes Land mehr – bereits seit 50 Jahren wurden in Dortmund Berichte der Missionare aus Hereroland und Namaland in Missionsgottesdiensten oder im Konfirmandenunterricht weitergegeben – von Maharero, Witboi oder Johanna Maria Gertse, der ersten Herero-Christin, hatte man in Dortmund schon einiges gehört, von einem Lüderitz noch nichts.

Die Entwicklung organisatorischer Strukturen zur Unterstützung der äußeren Mission waren bereits weit fortgeschritten, als die evangelische Synode Dortmund beschloss, die Herero-Mission in der nun deutschen Kolonie zu finanzieren. Der Gemeindebesuch eines Missionars wurde ab den 1890er Jahren fester Bestandteil und Höhepunkt des Kirchenjahres und die Missionsfeste entwickelten sich zu dramaturgisch ausgefeilten Massenveranstaltungen. Die Mission wurde unverzichtbarer Gegenstand des religiösen Jahres, Generationen von Konfirmanden setzten sich immer aufwändiger für die Mission ein, Missionskollekten von der Taufe bis zur Bahre gesammelt.

"Wasche mich, dass ich schneeweiss werde!" Postkarte Sammlung K. M. Kreis

"Wasche mich, dass ich schneeweiss werde!" Postkarte Liebenzeller Mission. Sammlung K. M. Kreis

Kolonialismus und Mission müssen analytisch auseinandergehalten werden und haben – erst einmal – wenig miteinander zu tun. Insbesondere aber in der deutsch-national aufgeladenen evangelischen Mission ist die gemeinsame Schnittmenge unübersehbar. Bereits vor Beginn des deutschen Kolonialismus forderten Vertreter der evangelischen Mission den Eintritt Deutschlands in den Kreis der Kolonialmächte und zwar praktisch immer dort, wo die deutschen evangelischen Missionen in Afrika und Asien bereits tätig waren. Das setzt sich in der Phase des deutschen Kolonialismus fort, bleibt aber in den Reihen der Missionsbewegung durchaus nicht unwidersprochen, da Teile der Missionsbewegung Konflikte zwischen staatlichen und religiösen Interessen sahen.

In der Synode Dortmund – vermutlich stellvertretend für viele Synoden in protestantisch geprägten Gebieten, jedoch abseits der politischen oder pietistischen Zentren in Deutschland – lässt sich die Geschichte der Beziehungen zum heutigen Namibia oder allgemeiner: Die Geschichte der Beziehungen von christlicher Mission und deutschem Imperialismus zwischen 1884 und 1914 als Fallbeispiel erzählen: die Umwandlung vom christlichen Universalismus der Mission zur Kolonialmission im Zeitalter des Imperialismus, die Bekenntnisse zur Kolonialpolitik und zur Weltpolitik des Deutschen Reiches, die Verbrüderung mit der Kolonialbewegung vor Ort, die koloniale und imperiale Mentalität unter human-christlichen Vorzeichen, das Einflusspotenzial der Mission für den kolonialen Gedanken.

Heidenlied. Postkarte Sammlung K. M. Kreis

Heidenlied. Postkarte Sammlung K. M. Kreis

Eine sperrige Beziehung – in der aber auch vereinzelt evangelische Akteure in Dortmund auftraten, die den Aufstand der Hereros und Nama als „Akt der nationalen Befreiung“ verstanden, wohlwollend mit den preußischen Freiheitskriegen verglichen oder die den Kampf bewaffneter Herero-Christen nicht als Unrecht ansahen. Zu den Zeiten, als es in Deutschland zum „guten gesellschaftlichen Ton“ gehörte, Hereros und Nama als Tiere zu titulieren und ihre Vernichtung zu fordern, sahen es evangelische Christen in Dortmund – im Gegensatz zum gesellschaftlichen Mainstream – als ihre barmherzige Pflicht an, „die nur noch um ihr nacktes Überleben kämpfenden Hereros“ zu unterstützen: Die erste Dortmunder Altkleidersammlung ging an die Herero-Kriegsgefangenen im Konzentrationslager Haifischinsel, „Keine Fräcke, keine Abendkleider“ heißt es dazu im Aufruf des Kirchlichen Anzeigers der evangelischen Gemeinden von Dortmund und Umgebung.

Viele Dortmunderinnen und Dortmunder sahen das anders und unterstützen allein die deutschen Kriegsfreiwilligen. So z. B. das Dortmunder Rote Kreuz oder auch die Beschäftigten in der Dortmunder Fabrik von Orenstein & Koppel, einem Eisenbahnbau-Unternehmen, das in Deutsch-Südwestafrika ein eigenes Kriegsgefangenenlager mit 1.300 Zwangsarbeitern unterhielt.

"Weißer! Kauf mich doch!". Postkarte KIndheit-Jesu-verein. Sammlung K. M. Kreis

"Weißer! Kauf mich doch!". Postkarte Kindheit-Jesu-Verein. Sammlung K. M. Kreis

Katholische Christen waren in Dortmund – wie man so sagt – lange Zeit „nur geduldet“. Derzeit ist noch unzureichend bekannt, in welcher Weise die katholischen Diaspora-Gemeinden in Dortmund die katholischen Missionsgesellschaften unterstützt haben und wie die Rückkopplungen aus den Missionsgebieten in die katholischen Heimatgemeinden erfolgte. Vermutlich gibt es keinen besonderen Unterschied zwischen dem evangelischen und dem katholischen Milieu. Insgesamt scheint aber das katholische Dortmund (auch Deutschland?) deutlich geringer ausgeprägte Bezüge zur Kolonialmission entwickelt zu haben.

Am 10. Dezember 1888 fand im Leo-Saal des katholischen Gesellenhauses die Gründungsversammlung des Zweigvereins Dortmund des Afrika-Vereins deutscher Katholiken statt. „An der kath. Bürgerschaft (Dortmunds) ist es nun, durch zahlreichen Beitritt zu zeigen, daß sie gewillt ist, mit aller Kraft zu streben, um die armen Neger aus den Gräueln der leiblichen Sklaverei wie aber auch aus der Finsternis des Heidentums zu erretten.“ Die katholische Tageszeitung „Tremonia“ berichtet weiter: Propst Löhers „wies in einer längeren Ansprache auf die Gräuel in Afrika, die Verwendung des hl. Vaters und des Kardinal Lavigerie für die armen Neger hin und ermunterte eindringlich zur Gründung eines so edlen Zieles verfolgenden Zweigvereins in unserer Stadt. Sofort erklärten sich sämtliche 38 erschienenen Herren bereit, sich gleich als Zweigverein für Dortmund zu konstituieren.“

Weitere Informationen über die (Kolonial-)Missionsbewegung in Dortmund demnächst hier. Sie sind herzlich eingeladen, uns mit Informationen zu evangelischen und katholischen Missionsaktivitäten in und aus Dortmund zu unterstützen.

"Erinnerung an das gekaufte Heidenkind", Missionshaus St. Gabriel. Abbildung: Petrus Claver, 1888 heilig gesprochen, 1896 zum Patron der „Mission unter Negern“ ernannt, seit 1985 "Patron der Menschenrechte". Sammlung K. M. Kreis

"Erinnerung an das gekaufte Heidenkind", Missionshaus St. Gabriel. Abbildung: Petrus Claver, 1888 heilig gesprochen, 1896 zum Patron der „Mission unter Negern“ ernannt, seit 1985 "Patron der Menschenrechte". Sammlung K. M. Kreis

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