Die Dortmunder Abteilung der Deutschen Friedensgesellschaft hat nach dem 1. Weltkrieg vergeblich versucht, in Dortmund eine Straße nach dem 1920 ermordeten Kolonialkritiker und Pazifisten Hans Paasche zu benennen. Wer weiss mehr?
Hans Paasche hatte sich nach dem 1. Weltkrieg als Erster gegen den “alldeutschen Kolonialismus” und gegen die Rückgabe der deutschen Kolonien ausgesprochen - fortan stand er auf den Todeslisten der rechtsradikalen Freikorps. Nach seiner Ermordung am 21.05.1920 wollte die Dortmunder Friedensbewegung eine Straße nach Hans Paasche benennen: ”Ausgerechnet eine Allee im vornehmsten Villenviertel. Am Ende ist aus der Umbenennung überhaupt nichts geworden” (zitiert aus “Junge Menschen, Blatt der deutschen Jugend”, September 1922). Wer weiß mehr über diesen Straßen-Umbenennungsversuch?
Im Juli 1922 hatte die Dortmunder SPD im Rahmen der republikanischen Straßenumbenennungen nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik eine Umbenennung sämtlicher “an die monarchistische Staatsverfassung erinnernden Straßen, Plätze und Anstalten” in Dortmund beantragt. Besonders erfolgreich war das nicht, umbenannt wurden lediglich
- die Kaiser-Wilhelm-Allee in Rathenauallee,
- die Prinz-Wilhelm-Straße in Erzbergerstraße und
- der Nordmarkt in Republikplatz.
Immerhin, möchte man sagen, wurden mit Rathenau und Erzberger wenigstens zwei von durch politische Mordanschläge ums Leben gekommene republikanische Politiker geehrt.
Zu den aus politischen Gründen Ermordeten zählte auch Hans Paasche, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, wenn man nicht seinen “Luganka Mukara” im Buchregal stehen hat. Seine Ermordung im Jahre 1920 rief allerdings eine starke Medienresonanz hervor (“Deutschland in Aufruhr durch Erschießung von Kapitänleutnant Hans Paasche”) und war durchaus vergleichbar mit der über die Ermordung von Rathenau und Erzberger. Die New York Times (Young German Captain killed by Reichswehr), die überregionalen Berliner Tageszeitungen und die Dortmunder Lokalzeitungen, aber auch der “Vorwärts” (Parteizeitung der SPD), die “Freiheit” (Parteizeitung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei) und der “Syndikalist” (Zeitschrift der Syndikalisten) – mit Verspätung dann auch die “Rote Fahne” (Parteizeitung der KPD) – berichteten über die Ermordung und die anschließende Untersuchungskommission – eine bemerkenswerte Konstellation.
Hans Paasche war eine der bekanntesten Personen der deutschen Friedensbewegung, der im 1. Weltkrieg als Kapitänleutnant durch pazifistische und antimilitaristische Agitationen auffiel, in die Psychiatrie eingewiesen und dort von revolutionären Soldaten am 09. November 1918 befreit wurde. Noch am gleichen Abend wurde er im Plenarsaal des Reichstages in einer Versammlung der Revolutionären Betriebsobleute und der am Tag neugewählten Arbeiter- und Soldatenräte gemeinsam mit Hauptmann Hans-Georg von Beerfelde (beide vermutlich nicht als Parteimitglieder, aber auf dem “Ticket” der USPD) und den Sozialdemokraten Max Cohen-Reuß und Brutus Molkenbuhr in den Soldatenrat kooptiert. Am nächsten Tag wurde er als Mitglied des Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrates von Groß-Berlin gewählt, dem – wenn man so will – höchsten Organ der Revolution. Paasche konnte sich dort mit den Vorschlägen zur sofortigen Verhaftung der deutschen Generalität oder der Sprengung der Berliner Siegesallee als Symbol des deutschen Militarismus nicht durchsetzen. Im Auftrag der Arbeiter- und Soldatenräte organisierte Hans Paasche die Ausweisung der Ehefrau des abgedankten Kaisers. Hans Paasche nahm als Kranzträger an der Beerdigung von Rosa Luxemburg teil.
Der pazifistische „Bund Neues Vaterland“ – Paasche ist dort ein wichtiges Mitglied – organisierte in Berlin die beiden ersten explizit antikolonialen Veranstaltungen nach Ende des Ersten Weltkriegs: Am 16.8.1919 über „Die Zukunft Afrikas“ und am 19.9.1919 über „Das verlorene Afrika“. An beiden Veranstaltungen traten als Redner Mdachi bin Scharifu (Lektor für Suaheli am Orientalischen Seminar) und Hans Paasche auf; am 16.8. auch Hellmuth von Gerlach, ein Pazifist und kurzzeitiger Unter-Staatssekretär, der Anfang 1920 einem Mordanschlag entging. In der USPD-Parteizeitung wird Paasche für die in den Veranstaltungen vorgetragene moralische und nicht-materialistische Argumentation gerügt.
“Das verlorene Afrika” ist auch der Titel eines Buches von Hans Paasche. So wie auf den beiden Veranstaltungen äußert er darin erstmals eine grundsätzliche Kritik der „alldeutschen Kolonialpolitik“ und wendet sich gegen die Rückgabe der deutschen Kolonien – ein zu diesem Zeitpunkt in Deutschland vermutlich nahezu einmaliger Vorgang. In der Deutschen Kolonialzeitung, die gerade Artikel für die Wiedergewinnung der Kolonien und gegen die sogenannte Kolonialschuldlüge platziert sowie Freiwilligenaufrufe des Freikorps Lettow-Vorbeck abdruckt, erscheinen kurz darauf Artikel zu Hans Paasche (20.09.1919 „Erfreuliches und Erbärmliches“ und 20.10.1919 „Vom Herrenmenschen zum Bolschewiki“), mit denen der damals bedeutendste noch lebende Kritiker des deutschen Kolonialismus – wie könnte man es anders sagen – zum Abschuss freigegeben wurde.
Georg Ledebour, der als langjähriger SPD-Reichstagsabgeordneter konsequent für eine antikoloniale Politik der SPD eintrat, forderte als neuer Fraktionsvorsitzender der USPD im Reichstag die Aufklärung der Ermordung von Hans Paasche (Reichstagsprotokolle, 28.06.1920, Seite 27f). Auch Hermann Müller, Vorsitzender der SPD und zuvor kurzzeitiger Reichskanzler und Außenminister, verteidigte Paasche, fordert die Sühnung des Mordes und die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit – der einzige Punkt des Tages, an dem SPD und USPD einer Meinung waren (Reichstagsprotokolle, 1. Juli 1920, Seite 81).
In Erinnerung blieb Hans Paasche in den 1920er Jahren bei Pazifisten, Lebensreformern, Naturschützern, Jugendbewegten, Tierschützern, Vegetariern, Abstinenten … und Sozialrevolutionären. Erich Mühsam schreibt 1927 (leicht gekürzt):
„Als Friedrich Ebert nach beendeter Vollexpropriierung der Expropriierten mit Tode abging, durfte er befriedigt auf sein Werk zurückschauen: Liebknecht tot, Rosa Luxemburg tot, Eisner tot, Landauer tot, Paasche tot, 15.000 Proletarier tot, die Revolution tot.“
In den Organisationen der radikalen Friedensbewegung – und dem kleinen Kreis der parteiunabhängigen antikolonialen Kräfte der Weimarer Republik - bleibt Paasche bis 1933 als Vorbild präsent. In Deutschland erinnert heute hingegen keine einzige Straßenbenennung an den ersten und bedeutendsten Kolonialkritiker der Nachkriegszeit. Dafür gibt es aber bis heute immer noch in nahezu jeder Stadt Straßennamen, die die Kolonialverbrecher und Militaristen der Kaiserzeit würdigen.
Zum Freundeskreis von Hans Paasche zählte auch Kurt Tucholsky, der Hans Paasche – wenigstens – ein literarisches Denkmal setzte.
Kurt Tucholsky: Paasche
Kurt Tucholsky: Am Grabe von Hans Paasche
Kurt Tucholsky: Die Mordkommission
Über den Lebensweg Hans Paasches von der kolonialen Nachwuchshoffnung - Kolonialoffizier in Deutsch-Ostafrika, prokolonialer Propagandaredner, Geschäftsführer eines kolonialen Unternehmens in Deutsch-Ostafrika – bis hin zum entschiedenen Gegner des deutschen Kolonialismus informiert ein Special in freiburg-postkolonial.