Dortmund war seit Ende der 1870er Jahre eine Hochburg der deutschen Kolonialbewegung und galt 1936 als „Hauptstadt des kolonialen Sehnens“. Umso erstaunlicher, dass in Dortmund nur wenige Straßenbenennungen mit kolonialistischer Intention zu verzeichnen sind. In 2024 erfolgte endlich die Umbenennung der Nettelbeckstraße in May-Ayim-Straße.
Die Namensgebung einer Straße oder eines Gebäudes nach Personen wird als öffentliche Würdigung und Ausdruck der Hochachtung der oder dem Bezeichneten gegenüber verstanden. Sie ist ein Verwaltungsakt, in dem politische Motive eine Rolle spielen können. Straßennamen sind angesichts ihrer Funktion und Geschichte historische Quellen.
Politisch motivierte (Um-)Benennungen von Straßen, Plätzen oder öffentlichen Gebäuden erfolgten selten einmütig. Für die Mitglieder des Gemeinderats der 1904 noch selbstständigen Gemeinde Körne war es 1904 politisch korrekt, in Erinnerung an die „China-Wirren“ und die Niederschlagung des sogenannten “Boxeraufstands” noch kurz vor der Eingemeindung nach Dortmund eine Straße nach Feldmarschall Waldersee zu benennen. Die SPD und die freien Gewerkschaften in Dortmund hingegen protestierten am 1. Mai 1900 gegen den imperialistischen Rachekrieg und die Massaker an der Zivilbevölkerung, die unter dem Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, dem „Welt-Marschall“ Waldersee, in China stattfanden. Noch heute ehrt Dortmund mit der Walderseestraße eine Person, die im Kontext verbrecherischer Kolonialkriege steht.
Auf Antrag der SPD erfolgte 1922 eine Umbenennung der an die monarchistische Staatsverfassung erinnernden Straßen und Plätze in Dortmund. Der Berichterstatter der SPD, Stadtverordneter Klupsch, nannte auch einige Vorschläge: Rathenau, Erzberger und Hans Paasche, der sich 1919 als erster für die Unabhängigkeit der „Kolonialvölker“ aussprach und daraufhin ermordet wurde. Die Monarchisten, deutsch-völkischen Demokratiefeinde und Antisemiten demonstrierten in Dortmund heftig gegen die Umbenennungsvorschläge, verhinderten zwar die Umbenennung der Kaiser-Wilhelmallee in „Bebel-Allee“ und die Benennung einer Straße nach Hans Paasche, konnten aber den Umbenennungen in „Erzbergerstraße“ oder „Rathenauallee“ nichts entgegen setzen.
Am 28.03.1933 begann in Dortmund der sogenannte „Boykott jüdischer Kaufhäuser“ und bekannte Dortmunder Jüdinnen und Juden wurden verhaftet. Am gleichen Tag wurde die Umbenennung einiger Straßennamen in Dortmund angeordnet und so wurde aus der Marx-Allee die Baurat-Marx-Allee und auch die Friedrich-Ebert-Straße, die Bebelstraße und die Käthe-Kollwitz-Straße wurden aus politischen Gründen umbenannt. Nach 1945 wurden hier im Rahmen der Entnazifizierung weitgehend konsequent Straßen, Schulen und Plätze umbenannt: Aus der Adolf-Hitler-Allee wurde die Hainallee, aus der Straße der SA die Hohestraße und aus dem Horst-Wessel-Platz der Nordmarkt. Im gleichen Zuge wurden Straßen und Schulen, die nach Personen benannt waren, die mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus, mit aggressiver imperialistischer Politik und mit rassistischer Ideologie verbunden sind, umbenannt. Historische koloniale Symbolfiguren wie Peters, Wissmann, Nachtigal oder die kolonialen Nazi-Ikonen wie General Maercker und General von Epp (beide Kolonialoffiziere und nacheinander Präsidenten des Kolonialkriegerverbandes, Epp darüber hinaus bis 1943 Präsident des Reichskolonialbundes) verschwanden so wieder aus dem öffentlichen Raum. Vermutlich gab und gibt es in Dortmund im Unterschied zu anderen Städten des Ruhrgebiets auch keine kolonialen Denkmale und Gedenktafeln.
Im Prozess der Entnazifizierung blieb in Dortmund jedoch – über die Walderseestraße hinaus – mit der Nettelbeckstraße ein kolonial inspirierter Straßenname unantastet. Mit der Speestraße wurde in den 1970er Jahren eine Person erneut geehrt, obwohl Spee an anderer Stelle in Dortmund 1945 bereits getilgt wurde.
Die Nettelbeckstraße wurde 2024 in May-Ayim-Straße umbenannt. Nach Joachim Nettelbeck (Sklavenschiffkapitän, früher Kolonialpropagandist und „Verteidiger Kolbergs“ 1807) wurden Straßen und Plätze in Deutschland in der Regel zwischen 1936 und 1945 benannt, angeregt durch NSDAP-Ortsgruppen und/oder Marine- und Kolonialvereine. Nettelbeck war in der deutschen Kolonialbewegung vor 1933 eher unbekannt und wurde erst in der Nazi-Propaganda zu einer Ikone aufgebaut, blieb aber bei der Entnazifizierung des öffentlichen Raums in einigen Städten unangerührt. Die neue Namensgeberin, May Ayim, war Gründungsmitglied der Initiative „Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten rückten die Lebenssituation Afro-Deutscher in den Fokus.
Die Speestraße wurde 2022 in Dr. Safiye Ali-Straße umbenannt. Die Speestraße wurde nach Admiral Maximilian Reichsgraf von Spee erst in den 1970er Jahren benannt. Das ist allein schon deshalb bemerkenswert ist, weil die SPD damals in der Nordstadt satte Mehrheiten von weit über 60 Prozent erhielt und scheinbar vergessen hatte, dass sie selbst 1945/1946 die Umbenennung der Graf-Spee-Schule und des Falklandwegs (heute „Auf der Wittbräucke“) veranlasste. Benennungen nach Spee und den Falklandinseln sind typische militaristische und kolonialistische Ehrenbezeugnisse zwischen 1933 und 1945. Spee war 1884 Wachoffizier auf dem Kanonenboot “Möwe”, das der kolonialen Eroberung Togos diente, später Kommandeur des Ostasiengeschwaders, das zuständig für die militärische Herrschaftssicherung in Kiautschou (China) und auf den diversen Südseeinseln in deutschem Besitz war. Er war verantwortlich für den Untergang des Ostasiengeschwaders vor den Falklandinseln im 1. Weltkrieg. Nach 1945 wurden Spee-Straßen u.a. auch in Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Emsdetten, Rheine, Plettenberg oder Recklinghausen umbenannt.
Umbenennungen oder Umwidmungen sind auch in den letzten Jahren in Dortmund vorgenommen worden. So ist die “Wagenfeldstraße” 2012 umgewidmet worden und trägt nun den Namen des Bauhaus-Designers Wilhelm Wagenfeld. Der vorherige Namensgeber Karl Wagenfeld, Mitbegründer des Westfälischen Heimatbundes, schrieb u.a.: “Neger, Kaffern und Hottentotten sind Halbtiere, Fremdrassige sind Volksverderber und Schädlinge, Menschen in ‘Krüppel- und Idiotenanstalten’, in Fürsorgeheimen und Strafanstalten sind körperlich und geistig Minderwertige.”
In fast allen Städten des Ruhrgebietes lassen sich Straßennamen finden, die Akteure oder Ereignisse des deutschen Kolonialismus würdigen. In Bottrop gibt es z. B. eine Karl-Peters-Straße, eine Wissmannstraße und eine Lüderitzstraße, die damit an drei der bedeutendsten “Kolonialpioniere” – wie es im Nazi-Jargon beschönigend heißt – erinnert. In Bochum wurden hingegen 1998 nach Bürgerprotesten die Wissmann-, Lüderitz- und Petersstraße umbenannt. In Gelsenkirchen zeugen bis heute die Tangastraße an den Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika und die Waterbergstraße an den Beginn der genozidalen Kriegsführung in Deutsch-Südwestafrika. In Duisburg und Essen gibt es jeweils über zehn Straßennamen mit Stationen der Kolonialverbrechen.
Über Straßennamen hinaus sind im Ruhrgebiet nur wenige koloniale Erinnerungsorte erhalten geblieben. In Herne erinnert bis heute eine Gedenktafel einseitig an die aus Herne stammenden und im Deutsch-Namibischen-Krieg gefallenen Kolonialsoldaten. Die mit einigem propagandistischen Aufwand gepflanzten Kolonialeichen und Gedenksteine für die Kolonien (z.B. in Gladbeck) gelten als verschollen.
Koloniale Bezüge in Dortmunder Straßennamen – heute
In Dortmund hat aktuell nur die Walderseestraße einen unmittelbaren kolonialen Erinnerungsgegenstand. Darüber hinaus haben einige weitere Straßen und Plätze koloniale Konnotationen, weil sie auf Personen verweisen, die sich auch kolonialistisch betätigt haben. Bei der Suche nach kolonialen Bezügen in Dortmunder Straßennamen ist Vorsicht geboten. Einige Namen mit scheinbarem Kolonialbezug haben bei näherer Betrachtung eine Entstehungsgeschichte ohne Kolonialbezug – oder der Kolonialbezug kann nicht belegt werden. So steht etwa die Petersgasse in der Innenstadt nicht für den berüchtigten Kolonialverbrecher Carl Peters, sondern ist auf eine weitaus ältere Namensgebung zurückzuführen. Der Vogelsangskamp verweist auf Natur und Vögelgezwitscher, aber nicht auf Heinrich Vogelsang, „Erwerber“ von Landstrichen im heutigen Namibia und eine der Galionsfiguren der Kolonialbewegung. Ist die Karolinenstraße benannt nach der deutschen Kolonie in der Südsee? Die Karolinen, Archipel in Mikronesien, wurden 1899 von Spanien an Deutschland verkauft. Oder doch nach einer Adligen, Heiligen oder einer Tochter eines Bergwerksbesitzers? Leider sind dazu keine Angaben im Stadtarchiv vorhanden.
Walderseestraße
Benannt nach Generalfeldmarschall Waldersee ist die Walderseestraße in der östlichen Innenstadt/Körne eine explizit kolonial inspirierte Straßenbenennung. Bereits im Adressbuch der Stadt Dortmund von 1905 steht schönfärberisch: „Oberbefehlshaber in China während der Chinawirren“. „Chinawirren“ heißt: Der erste imperialistische Kolonialkrieg im großen Stil, der in China mit regulären deutschen Armeeeinheiten geführt wurde. Waldersee, der „Weltmarschall“ – weil er als Oberbefehlshaber der alliierten europäischen Mächte sowie der USA und Japans fungierte. Die Besonderheit: Sogenannte „Strafaktionen“ weit nach Abschluss der eigentlichen Kampfhandlungen, verbunden mit Gemetzel an der Zivilbevölkerung.
Bismarckstraße
Reichskanzler Otto von Bismarck stand kolonialen Projekten zeitweise ablehnend gegenüber. Er berief die Afrika-Konferenz 1884/85 in Berlin ein, auf der Afrika unter den konkurrierenden Imperialmächten aufgeteilt wurde. Fast alle der deutschen Kolonien wurden in seiner Amtszeit in Besitz genommen und zu “Deutschen Schutzgebieten” erklärt.
Hansemannstraße/ Zeche Hansemann
Benannt nach Adolph von Hansemann, Geschäftsführer der Disconto-Gesellschaft, der größten Privatbank des Deutschen Kaiserreiches (Vorläufer der Deutschen Bank). Bereits vor Beginn des formalen deutschen Kolonialismus in Neuguinea tätig, „half“ er u.a. die Inbesitznahme eines Teils von Samoa durch Deutschland vorzubereiten (Samoa-Vorlage) und war später an nahezu allen kolonialen Großprojekten beteiligt. Über die Geschäftsbeziehungen mit Hansemann war auch die Dortmunder Schwerindustrie an kolonialen Projekten v.a. in China und Deutsch-Neuguinea beteiligt.
Hosbachstraße
Benannt nach Wilhelm Konrad Hosbach, geb. 1867 in Dortmund-Aplerbeck, gest. 1964. Seit 1900 in Lutindi, Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) und insgesamt über 50 Jahre als Diakon und Missionar in Usambara tätig, u.a. in der sogenannten “ersten kolonialen Irrenanstalt”. Straßenbenennung „Hosbachstraße“ im Jahre 1967.
Konrad-Adenauer-Allee
Benannt nach dem ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Eher unbekannt: 1927 erklärte er als Kölner Oberbürgermeister: “Das Deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reiche selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung.“ Von 1931 -1933 war Adenauer stellvertretender Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft: “Unerbittlich fordern wir Deutschlands Recht auf eigene Kolonien.”
Moltkestraße
Benannt nach Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke, einem bedeutenden Kolonialpropagandisten und begeisterten Anhänger von Carl Peters, des „Kolonisators“ Deutsch-Ostafrikas (heute Tansania).
Weitere Informationen finden Sie in freiburg-postkolonial
(Obere und Untere) Pekingstraße
Eine Straßenbenennung – wie ein Schürener Chronist annahm – in Erinnerung an den sogenannten “Boxeraufstand” in China? Die Gegend soll früher Klein-Peking oder Boxerviertel geheißen haben – im Volksmund. Gut möglich, zumal Heinrich König aus Schüren bei der „Belagerung der Gesandtschaft in Peking“ am 13.07.1900 verwundet wurde und darüber eine gewissen regionale Bekanntheitgrad erhielt. Gegen die Annahme spricht der Eintrag im Straßenverzeichnis 1938: Peckingstraße, und damit vielleicht nach dem Bauern Pecking benannt?
Robert-Koch-Straße/ Robert-Koch-Schule
Die Robert-Koch-Straße/Schule ist nach dem Arzt, Bakteriologen und Nobelpreisträger Robert Koch benannt. Seinen medizinischen Leistungen steht jedoch auch das düstere Kapitel der Menschenversuche in den damaligen deutschen und englischen Kolonien gegenüber.
Informationen über Robert Kochs Forschungspraxis zur Schlafkrankheit im kolonialen Ostafrika finden Sie in Freiburg-postkolonial
Wilhelmstraße
Benannt nach Kaiser Wilhelm I., der die deutschen Kolonisierungsprojekte protegierte bzw. durchführte. Unter seiner Herrschaft wurden Togo, Kamerun, “Deutsch-Südwestafrika”, “Deutsch-Ostafrika”, “Kaiser-Wilhelmsland” (Neu-Guinea) und die vielen pazifischen Inseln annektiert. In der Zeit seines Nachfolgers Wilhelm II. wurden noch Kiautschou in China, die Karolinen, Samoa und Teile von Französisch-Kongo hinzugefügt.
Antikoloniale Bezüge in Dortmunder Straßennamen
Einige Dortmunder Straßennamen erinnern übrigens auch an Personen, deren politisches Wirken untrennbar mit Kolonialkritik und Antikolonialismus verbunden sind:
Bebelstraße
August Bebel, Vorsitzender der SPD und Gegner der “kapitalistischen Kolonialpolitik”. Veröffentlichte fortgesetzt die Kolonialskandale, thematisierte sie im Reichstag und trug wesentlich zur Entlassung und Verurteilung von Carl Peters bei. August Bebel in Dortmund: “Gründet Antisklavereivereine für Deutschland und helft die Millionen von Lohnsklaven aus den Banden der modernen Sklavenbarone, der Schlot- und Krautjunker befreien. (…) Wenn wir hier einmal die Knechtschaft abgeschafft haben, dann wollen wir auch den Afrikanern zur Freiheit helfen. Wer selbst mit Ketten belastet ist, kann keinem Andern die Ketten abnehmen.” Zugegeben, von Bebel sind bessere Zitate überliefert, aber nicht aus Dortmund.
Bömelburgstraße
Theodor Bömelburg, Reichstagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Dortmund und Hörde zwischen 1903 und 1912. Vorsitzender der Maurergewerkschaft und des späteren Bauarbeiterverbands. Als Kandidat der SPD bei den Reichstagswahlen 1907 (Hottentotten-Wahl) hält er sich an die Parteidisziplin und spricht in über 30 Volksversammlungen „gegen die Tollheit der deutschen Kolonialpolitik“. Er hielt es für selbstverständlich, dass „für Taten, wie sie in den heutigen Kolonien verübt worden sind, unter keinen Umständen die Steuergroschen des deutschen Volkes bewilligt werden dürfen“. Bömelburgs Wahlkampfparole: „Keinen Groschen für die verbrecherischen Kolonialkriege“.
Franz-Lütgenau-Straße
Benannt nach dem ersten gewählten sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten des Ruhrgebiets (Wahlkreis Dortmund und Hörde, 1895-1898). In jungen Jahren war seine Kolonialkritik noch diffus und entsprach bei Weitem nicht der Kolonialkritik, wie sie in der Dortmunder Arbeiterzeitung zum Ausdruck kam. 1885 stellt er etwa in einem Vortrag dar, „daß für Deutsche in Kamerun, um dort existieren zu können, eine vollständige Änderung der Lebensweise und der Enthaltsamkeit in Essen und Trinken, wie sie der Natur des Deutschen nicht entspricht, notwendig sei“. Er schloß „mit dem Wunsche, daß durch die gegenwärtigen Kolonisations-Unternehmungen wir Deutsche nicht mögen abgelenkt werden von den wichtigeren und dringenderen Aufgaben, welche bei uns zu lösen sind.“ An anderer Stelle sagte er: „Warum in die Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah“. In Deutschland sei „sehr viel kulturfähiges Land. Die deutschen Kolonialpolitiker sollten darauf ihre Blicke werfen, dann hätten es die ärmeren Landsleute nicht nöthig auszuwandern und so dem Vaterlande bedeutende und schützenswerthe Arbeitskraft zu entziehen.“ Später hingegen nicht nur Mitgründer der Dortmunder Volkshochschule sondern auch ein ausgewiesener Gegner der imperialistischen Kolonialpolitik, 1913 Vorstand des Dortmunder Vereins zur Förderung des internationalen Austauschs und nach Ende des Ersten Weltkriegs zehn Jahre lang im Vorstand der antikolonialen Ortsgruppe Dortmund der Deutschen Friedensgesellschaft.
Friedrich-Kohn-Straße
Der Dortmunder Rechtsanwalt war eine führende Figur der Dortmunder Linksliberalen. Führte eine Reihe von Veranstaltungen durch, in denen er sich als Gegner der deutschen Kolonialpolitik bekannte (u.a. mehrfach gegen den Krieg in China und in Deutsch-Südwestafrika). Wechselte in den 1920er Jahren zur SPD.
Kautskystraße
Karl Kautsky, führender Theoretiker der SPD und auch bzgl. Imperialismus und Kolonialismus innerparteilicher Gegner des revisionistischen Bernstein-Flügels, der nach 1907 anfing, ein sozialdemokratisches Konzept von Kolonialpolitik zu entwickeln. Wechselte mit allen anderen namhaften antikolonial eingestellten Sozialdemokraten zur USPD.
Ludwig-Quidde-Straße
Pazifist und linksliberaler Politiker im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Friedensnobelpreisträger und Mitgründer der Deutschen Friedensgesellschaft. Nach dem Vortrag von Ludwig Quidde am 14.01.1901 in Dortmund über die deutsche „Seeräuberpolitik in China“ protestierte die „Volksversammlung auf das allerentschiedenste gegen die Weltmachtpolitik und besonders gegen die brutale Kriegsführung in dem chinesischen Konflikte“.
Rosa-Luxemburg-Straße
Eine der schärfsten Kritikerinnen des Kolonialismus, die ihn – auch theoretisch – in Bezug zu Kapitalismus und Imperialismus setzt.
Rückblick: Nach 1945 umbenannte „koloniale“ Straßennamen und Öffentliche Einrichtungen
In Dortmund wurden nach 1945 nur wenige kolonial und kolonial-rassistisch inspirierte Straßennamen umbenannt – weil es nur wenig umzubenennen gab. Weder vor noch während der Nazi-Diktatur fanden in Dortmund besondere „koloniale“ Gedächtnisinitiativen statt, so dass die kolonialen Symbolfiguren „der ersten Reihe“ (Peters, Wissmann, Lüderitz etc.) nicht in Straßennamen sondern lediglich in Schulnamen auftauchen; Dortmund ist damit eine Ausnahme unter den Großstädten. Zwei (neue) Straßen wurden jedoch nach 1933 nach Symbolfiguren des paramilitärischen Kolonialrevisionismus benannt:
Von-Epp-Straße
Benannt nach General Franz Ritter von Epp, nationalsozialistischer Politiker und von 1933 bis 1945 sogenannter „Reichsstatthalter“ in Bayern. Kriegsfreiwilliger Offizier bei der Niederschlagung des „Boxeraufstandes“ in China und Kompanieführer in Deutsch-Südwestafrika, wo er am Krieg gegen die Herero teilnahm. Gründer des „Freikorps Epp“, Teilnahme an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik und des Ruhrkampfs, Besetzung Dortmunds 1920. Ab 1925 Vorsitzender des Deutschen Kolonialkriegerbundes, ab 1934 Reichsleiter der Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP und ab 1936 Bundesführer des Reichskolonialbundes.
Die Von-Epp-Straße wurde am 19.7.1946 in Thomas-Mann-Straße umbenannt.
Maerkerstraße
Benannt nach Generalmajor Georg Maercker. Ab 1888 als Offizier bei der „Schutztruppe“ in Deutsch-Ostafrika, Teilnahme an der Niederschlagung des sogenannten Araberaufstandes im Jahre 1889, anschließend in Kiautschou (China) und ab 1904 im Generalstab der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika. Gründer des Freikorps „Landesjäger“, Teilnahme an der militärischen Niederschlagung der Arbeiteraufstände in Berlin, Halle, Magdeburg, Braunschweig und anderen Städten. Gründer und Präsident des Deutschen Kolonialkriegerbundes. Redner der ersten großen kolonialrevisionistischen Veranstaltung in Dortmund nach dem 1. Weltkrieg.
Die Maerckerstraße wurde am 22.7.1946 in Ernst-Wiechert-Straße umbenannt.
Von-Epp-Straße und Maerkerstraße waren Teil des Freikorps-Viertels, das nach antidemokratischen, paramilitärischen Organisationen benannt wurde. Weitere Straßen, die nach Freikorps benannt wurden:
- Aulockstraße, ab 19.7.1946: Anna-Siemsen-Straße
- Ehrhardtstraße, neu ab 19.7.1946: Gerhart-Hauptmann-Straße
- Oberlandstraße, neu ab 19.7.1946: Heinrich-Mann-Straße
- Loewenfeldstraße, neu ab 19.7.1946: Schoenaichstraße
Die in der Nähe liegende Reichswehrstraße (benannt bereits 1929) wurde – unbegreiflicherweise - nicht umbenannt, obwohl sich doch wesentliche Teile der Reichswehr aus den antidemokratischen Freikorps zusammensetzten.
Harboustraße
Benannt nach Generalleutnant Wilhelm von Harbou, Landwehrinspekteur in Dortmund ab 1911 und Vorsitzender der Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft ab 1913. Zugleich “Vertrauensmann” der Jungdeutschland-Bewegung und der Dortmunder Pfadfinder. Brigadekommandeur der 25. Reserve-Infanterie-Brigade, “seinen Wunden erlegen” am 20.09.1914 in Frankreich. Das Ehrengrab befindet sich heute auf dem Dortmunder Südwestfriedhof. Die Straßenbenennung war förmlich eingeleitet, wurde kriegsbedingt jedoch nicht mehr realisiert.
Speestraße
s.o.
Nettelbeckstraße
s.o.
In Dortmund wurden Ende der 1930er Jahre verschiedene Volksschulen (davon drei in Hörde) kolonialistisch inspiriert umbenannt:
Karl-Peters-Schule
1939-1945, Umbenennung zum Schuljahreswechsel 1939 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Bedeutung für die deutschen Kolonien; vorher und nachher: Stiftschule (Clarissenstraße 18, Hörde).
Wissmannschule
1939-1945, Umbenennung zum Schuljahreswechsel 1939 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Bedeutung für die deutschen Kolonien; vorher: Viktoriaschule (Semerteichstr. 176, Hörde).
Informationen zu Wissmann finden Sie in Köln-postkolonial
Nachtigalschule
1939-1945, Umbenennung zum Schuljahreswechsel 1939 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Bedeutung für die deutschen Kolonien; vorher: Leoschule (Entenpoth 34); nachher: Frenzelschule.
Laut Adressbuch 1939 und dem Hörder Volksblatt vom 30.03.1939 erfolgte die Umbenennung in “Nachtigallschule”, am 09.01.1940 heißt sie im Hörder Volksblatt “Nachtigalschule” und es wird erneut Bezug genommen auf Gustav Nachtigal.
Informationen zu Gustav Nachtigal finden Sie in Köln-postkolonial
Schliemannschule
1939-1945, vorher: Kath. Volksschule Dortmund-Nette (Stinnesstr. 29)
Heinrich Schliemann wurde im NS-Staat in die koloniale Ahnengalerie integriert. Schliemann rief zwar 1882 zur Gründung des Deutschen Kolonialvereins, dem ersten kolonialen Interessenverband auf nationaler Ebene, auf, jedoch zählt er im engen Sinne nicht zu den Akteuren des deutschen Kolonialismus.
Graf-Spee-Schule
1939-1945, vorher: Evangelische Volksschule in Dortmund-Barop (Am Hedreisch 6); später: Fritz-Reuter-Volksschule.
Benannt nach Maximilian Reichsgraf von Spee, Vizeadmiral und Oberbefehlshaber des deutschen Ostasiengeschwaders, der 1914 auf dem Rückweg von China bei einem Seegefecht zusammen mit 2.200 Marinesoldaten den Tod findet. Wurde in militaristischen und kolonialistischen Kreisen geehrt; 1934 Benennung eines neugebauten Panzerschiffes nach Graf Spee.
Postmeister-Stephan-Schule
Ab 1939, vorher: Evangelische Schule, Dortmund-Schüren, Pekingstr. 24; heute: Gerhart-Hauptmann-Grundschule.
Heinrich Stephan, Ehrenbürger der Stadt Dortmund, Generalpostdirektor des Deutschen Reichs und Staatsminister.
Artikel „Ein Postbeamter macht Außenpolitik – Heinrich von Stephan und die koloniale Expansion Deutschlands“ als pdf auf www.freiburg-postkolonial.de
Literaturempfehlung:
Bausch, Hermann Josef: Straßennamen: Denkmäler der Geschichte? Politisch motivierte Straßenbenennungen in Dortmund (1918 – 1933 – 1945). In: Heimat Dortmund 1/2011. (Wesentliche Angaben zu Straßenumbenennungen sind dieser Veröffentlichung entnommen)