Die mediale Aufmerksamkeit anlässlich der Rückführung von 20 Herero-Schädel nach Namibia erinnerte schlagartig an den Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Was wusste man in Dortmund über die genozidale Kriegsführung?

Welche Informationsquellen standen den Dortmunderinnen und Dortmundern zwischen 1904 und 1908 überhaupt zur Verfügung, um sich über den Krieg in Deutsch-Südwestafrika zu informieren? Zunächst einmal die Dortmunder Tageszeitungen, die über lange Zeit hinweg nahezu täglich – und häufig auf der Titelseite – über den Verlauf des Krieges berichteten. Sie bedienten sich der offiziellen Quellen, z.B. den Mitteilungen aus dem “Oberkommando der Schutztruppen”, oder sie übernahmen Berichterstattungen aus anderen Tageszeitungen/Zeitschriften, darunter mitunter auch die von professionellen Kriegsberichterstattern. Die Kommentierungen fielen dabei höchst unterschiedlich aus: Die “Dortmunder Zeitung” kommentierte “kolonial-rassistisch”, der “General-Anzeiger” blieb eher moderat und kritisierte später den Trotha’schen Vernichtungsbefehl, das linksliberale “Dortmunder Tageblatt” äußerte sich kritisch über den Krieg  und die deutschen Siedler und die sozialdemokratische Arbeiterzeitung war von Anfang an gegen den “verbrecherischen Kolonialkrieg”. Kurzum: Wer diese vier Tageszeitungen und zusätzlich auch noch die etwas herumdrucksende katholische “Tremonia” regelmäßig gelesen hatte, verfügte in groben Zügen über den zeitgenössischen Kenntnisstand und der war – überraschend – gut. Nicht nur die internationale Presse (z.B. New York Times) prangerte die deutsche Kriegsführung an, sondern es stand – mal unverhohlen positiv, mal sehr kritisch kommentiert – in jeder Dortmunder Tageszeitung.

Das evangelische Dortmund hatte darüber hinaus Zugang zu exklusiven Informationen: Nicht nur eine Vielzahl an Veröffentlichungen der Rheinischen Mission stand zur Verfügung. Vermutlich wurde seitens der Rheinischen Mission gezielt die “evangelische Presselandschaft” informiert. In Dortmund finden sich im “Kirchlichen Anzeiger” ab Mitte/Ende 1904 Berichte, die kaum anders als von der Rheinischen Mission oder von einzelnen Missionaren lanciert zum Abdruck gekommen sein können. Aber wer hätte schon gedacht, dass in einem kaisertreuen Dortmunder Kirchlichen Anzeiger der ”Aufstand” der Hereros schon mal als “Freiheitskampf” und der Ausschluss von bewaffneten Herero-Christen vom Abendmahl als Unrecht bezeichnet wurde?

Die eindrücklichste Informationsquelle dürften die mündlichen Berichte von Missionaren gewesen sein. Nach Beginn des Deutsch-Namibischen Krieges fanden praktisch in allen evangelischen Kirchengemeinden Dortmunds, aber auch in den zahlreichen evangelischen Vereinen, Informationsveranstaltungen oder Missionsfeste statt, in denen über den Verlauf und über die Gründe des Ausbruchs des Krieges, berichtet wurde. Dabei ging es vor allem auch um die Verteidigung der Rheinischen Missionare, die von zahlreichen weißen Siedlern als Kollaborateure der Hereros (und Nama) angesehen wurden; eine Einschätzung, die sich auch in Berichten in Dortmunder Tageszeitungen niederschlug. Als Berichterstatter kamen zunächst ehemalige Missionare aus Hereroland und Namaland – wie Deutsch-Südwestafrika häufig noch genannt wurde – in Frage, so z.B. der nach 33-jährigem Wirken in Hereroland als Heimatmissionar (heute würde man ihn evtl. als Ökumenereferent bezeichnen) in Witten und Bochum stationierte Johann Jakob Irle. Seine Ehefrau Hedwig Irle und er zählten zu den wichtigsten Verteidigern der Hereros in Deutschland.

Mit August Kuhlmann kam einer der renommiertesten und kritischsten Missionare nach Dortmund und nahm an einem gut besuchten Missionsfest in der evangelischen Gemeinde Hörde teil. Einige bekannte Zitate von Kuhlmann:

“Hunderte Hereros sind durch die Versendung nach Swakopmund geradezu hingemordet, so dass mir ein Herero sagte: Das ist schmutzig; aber lass’ nur, Gott wird’s rächen.”

Als ich von dem entsetzlichen Sterben hörte, da habe ich mich sofort von weiteren Vermittlungsdiensten zurückgezogen. Und ich werde nie wieder Hereros aus dem Felde, wo sie weniger zahlreich zugrunde gehen wie in Swakopmund oder in Lüderitzbucht, holen, wenn ich nicht vorher weiß, was mit den Leuten geschieht.”

Die Hereros haben bis vor dem Aufstand nie die Verträge gebrochen, wohl aber die deutsche Regierung. Und das gab den Hereros das Recht zum Kriege. Die deutsche Regierung hat widerrechtlich das Jagdgesetz erlassen, Ländereien verschenkt, auf dem Waterberg über den Kopf des Häuptlings hinweg eine Farm verkauft, stillschweigend südlich vom Nosob die Grenze erweitert, an einzelnen Herero-Orten Gesetze erlassen, die über ihre Machtbefugnis gingen und dazu den Munitionsverkauf nach eigenem Ermessen geregelt und eingeschränkt. Die Hereros erhoben Einspruch, aber umsonst, sie sahen sich vergewaltigt; sie schwiegen und warteten den Zeitpunkt ab, wo ihnen die Waffen in die Hand gedrängt wurden.”

 ”Die durch Vergewaltigung zum Aufstand gedrängten Hereros sind zertreten, verjagt, verhungert und verdurstet, und der übrig gebliebene Rest ist durch die brutale Kriegsführung dazu verurteilt, durch Rauben sein Leben zu fristen und das Ende vom Lied ist, daß auch diese dafür “die gerechte Strafe” der Vernichtung trifft.”

Kuhlmann begründete 1899 die Missionsstation von Okazeva/Hereroland. Als sich 1904 die dort lebenden Herero den Aufständischen anschließen, ging Kuhlmann zunächst mit seiner Gemeinde in das “Feldlager”, das heißt, er betreute seine Gemeinde, zu der nun auch bewaffnete Herero-Christen zählten, weiterhin seelsorgerisch. Von 1905 bis 1907 leitete er das von der Rheinischen Missionsgesellschaft beaufsichtigte Sammellager bei Omburu (Omaruru), in dem die Kriegsgefangenen interniert waren. Während eines Heimaturlaubs – und des Besuchs in Dortmund – verfasste Kuhlmann das Buch “Auf Adlers Flügeln”, in dem er autobiographisch die Rolle der Mission in Hereroland vor, während und nach dem Vernichtungskrieg beschreibt. Das Buch schließt ab mit scharfen Angriffen Kuhlmanns gegen General Lothar von Trotha, dem deutschen Oberbefehlshaber und Verantwortlichen für den sogenannten Vernichtungsbefehl. Kuhlmann unterstützte seinen Bericht in Dortmund mit Lichtbildern und darunter möglicherweise auch eines der bekanntesten Fotos, das Überlebende nach der Flucht aus der Omaheke-Wüste zeigt (ein Foto, das in seinem Buch abgedruckt wurde).

Kuhlmanns Seufzer “Gott erbarme Dich dieses armen Volkes!” wurde in Dortmund nicht von allen evangelischen Christinnen und Christen geteilt. Kuhlmann, Irle, Meier, Lang und andere – aber auch nicht alle – Missionare haben aber erheblich dazu beigetragen, den Blick auf die Verbrechen zu lenken, die gegen die Hereros verübt wurden.

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Umfangreiche Informationen zum Thema „Schädelsammlungen“ finden Sie in Freiburg-Postkolonial

 

 

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