Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um Kolonialismus in Dortmund.

Was hat Dortmund mit dem (deutschen) Kolonialismus zu tun?

Dortmund war zu keinem Zeitpunkt Kolonialmetropole wie Berlin, Hamburg oder Köln, war weder Standort kolonialrelevanter Wissenschaften noch stammen aus Dortmund namhafte koloniale „Eroberer“ oder Auswanderer. In Dortmund lassen sich auch kaum Orte kolonialer Erinnerungskultur feststellen und die wenigen kolonialen Straßen- und Schulnamen wurden nach 1945 wieder umbenannt.

Dennoch lassen sich – quasi an jeder Ecke – koloniale Spuren finden, die die Durchdringung des kolonialen Gedankens im Lebensalltag einer deutschen Kolonialprovinz aufzeigen: Viele Dortmunder Unternehmen agierten in den Kolonien, hunderte von Kolonialwarenhandlungen versorgten die Bevölkerung mit Kolonialwaren, ein großer Teil der Mitglieder des Magistrats und der Dortmunder Wirtschaft wurde Mitglied in Kolonialvereinen, die Stadt Dortmund wurde Mitglied des kolonialwirtschaftlichen Komitees der Deutschen Kolonialgesellschaft und bewilligte Mittel zur Unterstützung der Soldaten in den Kolonialkriegen, zahlreiche Kriegsfreiwillige aus Dortmund nahmen an den Kolonialkriegen in China und Deutsch-Südwest teil und gründeten Kolonialkriegervereine, etliche Missionsvereine in Dortmund sammelten für die Heidenmission, Generationen von Konfirmandinnen und Konfirmanden sammelten für die Mission in den deutschen Kolonien und Völkerschauen nahmen auch in Dortmund dauerhaft einen wichtigen Platz in Freizeit und Vergnügen ein.

Hatte die Dortmunder Wirtschaft etwas mit dem Kolonialismus zu tun?

Alle großen Dortmunder Unternehmen waren in den deutschen und anderen europäischen Kolonien aktiv. Im Jahre 1910 wurden allein über den Dortmunder Hafen 12.000 Tonnen Eisenbahnmaterial in die deutschen Kolonien verschifft. Dortmunder Brauereien lieferten das Bier bis nach Hawaii. Globalisierung vor 100 Jahren: Eisenerze für die Dortmunder Stahlproduktion aus Afrika und Lateinamerika, Asbest für die Wärmedämmung aus Südafrika, Futtermittel aus Asien für die industrielle Schweinemast, Kokosgarn für Treibriemen aus Asien, Palmöl für die Margarineproduktion aus Asien und Afrika.

Was hat Dortmund mit der (evangelischen) Kolonialmission zu tun?

Dortmund hat keinen herausragenden Beitrag zur Heidenmission oder zur Kolonialmission geleistet, war kein Zentrum des missionsorientierten Pietismus oder des deutsch-nationalen Missionsdranges á la Bodelschwingh. Doch bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand eine rege Unterstützung für die „Heidenboten“ v.a. in Nama- und Hereroland (heute Namibia) und mit Beginn des deutschen Kolonialismus zählte der Besuch eines Missionars zu den Höhepunkten des Kirchenjahres. Die Synode Dortmund unterstützte schwerpunktmäßig die Hereromission in der Kolonie Deutsch-Südwest. In der evangelischen Synode Dortmund (heute Vereinigte Kirchenkreise Dortmund und Lünen) lässt sich – vermutlich stellvertretend für viele Synoden in protestantisch geprägten Gebieten, jedoch abseits der politischen oder pietistischen Zentren in Deutschland – die Geschichte der Beziehungen zum heutigen Namibia oder allgemeiner: Die Geschichte der Beziehungen von christlicher Mission und deutschem Imperialismus zwischen 1884 und 1914 als Fallbeispiel erzählen: die Umwandlung vom christlichen Universalismus der Mission zur Kolonialmission im Zeitalter des Imperialismus, die Entwicklung organisatorischer Strukturen zur Unterstützung der äußeren Mission, die Entwicklung der Mission als fester Bestandteils und ein Höhepunkt des kirchlichen Jahres, die Bekenntnisse zur Kolonialpolitik und zur Weltpolitik des Deutschen Reiches, die Verbrüderung mit der Kolonialbewegung vor Ort, die koloniale und imperiale Mentalität unter human-christlichen Vorzeichen, das Einflusspotenzial der Mission für den kolonialen Gedanken. Eine sperrige Beziehung – in der in Dortmund auch einzelne Christen das Wort ergreifen und den „Aufstand“ der Hereros und Namas (1904 – 1908) als Akt der nationalen Befreiung gegen die koloniale Ausbeutung bezeichneten.

Was erinnert heute noch in Dortmund an den Kolonialismus?

Nahezu nichts. Die an etlichen Orten noch zu findenden Carl-Peters- oder Wissmannstraßen wurden in Dortmund bereits nach 1945 umbenannt. Da es in Dortmund keine nennenswerte koloniale Erinnerungskultur gab (Straßennamen, koloniale Denkmäler etc.), gibt es heute auch keine Notwendigkeit von Umwidmungsaktionen, die an die Verbrechen des Kolonialismus erinnern sollen. Allerdings: Wer ganz genau hinsieht, der findet z.B. mit der Walderseestraße eine zeitgenössisch explizit kolonial inspirierte Straßenbenennung, die indirekt auch an die Massaker an der Zivilbevölkerung während der Niederschlagung des Krieges in China erinnert. Oder die Nettelbeckstraße, die an einen frühen Kolonialpropagandisten und Kapitän von Sklavenschiffen erinnert.

Wer waren die kolonialbegeisterten Dortmunder?

Zunächst einmal handelte es sich um Vertreter der Dortmunder Wirtschaft/ der Handelskammer Dortmund, die seit Ende der 1870er Jahre den „Eintritt Deutschland in den Kreis der Kolonialmächte“ forderten. Der Vorstand der Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft liest sich wie ein „Who is who“ des Dortmunder Establishments: Hoesch, Schüchtermann, Kleine, Wiskott oder Brügmann. Die Mehrzahl der Mitglieder der Handelskammer war zugleich Mitglied der Kolonialgesellschaft. Dazu kommen Funktionseliten und Bildungsbürger: Bürgermeister und hauptamtliche Mitglieder des Magistrats, Bergräte des Oberbergamtes, leitende Post- und Bahnbeamte, Bankdirektoren, Schuldirektoren, Oberlehrer an höheren Schulen, Offiziere des Wehrkommandos Dortmund. Nur vereinzelt verfügten sie über eigene Erfahrungen in den deutschen (oder anderen) Kolonien.

Eine zweite große Gruppe mit spezifischen Kenntnissen: Kriegsfreiwillige, einfache Soldaten mit Erlebnissen aus den Kolonialkriegen in China und Deutsch-Südwest. Sie entwickelten – getrennt vom Bürgertum – den „Kolonialismus des kleinen Mannes“, der Helden-Selbstinszenierung und imperiale „Begeisterung“ verband.

Eine Gruppe darf nicht vergessen werden: Beschäftigte in kolonialen Unternehmen und Reisende aller Art, die nach Rückkehr aus den Kolonien „Zeugnisse“ ablegten.

Gab es auch kolonial engagierte Dortmunderinnen?

Selbstverständlich. Vor allem handelte es sich um die Ehefrauen der Dortmunder Industriellen, Fabrikanten, Funktionseliten und Bildungsbürger, die sich ab 1912 – und damit kurz nach Gründung des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft – für die „koloniale Sache“ engagierten. Unbekannt ist, inwieweit es sich um emanzipatorische Bestrebungen oder um rollenspezifisch weibliche Hilfsdienste handelte.

Als Helferinnen sind Frauen allerdings bereits vorher aktiv geworden, z.B. bei Spendensammlungen für Schulen und Krankenhäuser in den Kolonien, der Unterstützung der Buren, der Unterstützung der deutschen Kriegsfreiwilligen in China und Süd-West.

Gab es Antikolonialismus in Dortmund?

Selbstverständlich gab und gibt es noch heute in Dortmund Mitbürgerinnen und Mitbürger, die die Verbrechen des historischen oder des Neo-Kolonialismus weiterhin Verbrechen nennen.

Der „antikoloniale Widerstand“ ist eine Aktion der Kolonisierten, die in Dortmund durchaus auf Verständnis in der Arbeiterbewegung stieß. Eine aktive Unterstützung der kolonial „Unterdrückten“ gab es vor 1914 (noch) nicht, allerdings wird bereits in den 1. Mai-Demonstrationen 1901 und 1904 gegen die kapitalistische Kolonialpolitik und die Raubkriege in China und Deutsch-Südwestafrika protestiert. Antikolonialismus entwickelt sich als politisches Konstrukt erst in den 1920er Jahren und schlägt sich dann auch in Dortmund in Veranstaltungen und Spendensammlungen nieder.

Die Dortmunder SPD war zwischen 1884 und 1907 „kolonialkritisch“ eingestellt. Die Dortmunder Sozialdemokratie griff nicht nur wiederholt die Kolonialskandale auf, sondern agitierte gegen den Krieg in Südafrika (Burenkrieg) und in China. Die Reichstagswahl 1907, die unter dem Eindruck des Deutsch-Herero- und Deutsch-Nama-Krieges und nach Ablehnung der Kriegskredite durch SPD, Zentrum und Linksliberale stattfand, wurde von der Dortmunder SPD mit Angriffen gegen die „Kolonialtollheit“ geführt.

Lebten Dortmunderinnen und Dortmunder in den Kolonien?

Dortmund war durch die Expansion des Bergbaus und der Eisenindustrie eher Zuwanderungs- als Auswanderungsgebiet. Die Auswanderung aus Dortmund hatte die USA sowie Brasilien und Südafrika als Ziel; Auswanderung in die deutschen Kolonien war eine Ausnahme. Allerdings gab es mit der Kolonie „Neu-Dortmund“ in Honduras auch eine Koloniegründung aus Dortmund.

Zeitlich befristet waren natürlich auch Dortmunder in den Kolonien berufstätig als Soldaten, bei der Post, als Missionare oder als Beschäftigte im Eisenbahnbau oder in Bergbauunternehmen.

Gab es in Dortmund Kolonialwarenhandlungen?

Das Wort Kolonialwarenhandlung taucht in Dortmund vereinzelt in den 1870er Jahren und dann verstärkt mit Beginn des deutschen Kolonialengagements auf. Aber schon ab 1817 ist der erste Händler bekannt, der auch Waren aus tropischen und subtropischen Weltgegenden anbietet. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es allein in der Stadt Dortmund mit ihren knapp 200.000 Einwohnern über 500 Kolonialwarenhandlungen. Aus zwei Kolonialwarenhändlervereinigungen entstanden in Dortmund zunächst die E.D.K. (Einkaufsgenossenschaft Dortmunder Kolonialwarenhändler) und später aus der Einkaufsgenossenschaft „Krone“ der Vorläufer des heutigen REWE.

Lebten Menschen aus den Kolonien in Dortmund?

Nein, jedenfalls nicht auf Dauer. Vorübergehend haben sich einige wenige Afrikaner bis 1914 beruflich in Dortmund aufgehalten, allerdings ist die Quellenlage derzeit noch unbefriedigend.

Eine größere Gruppe bilden die Schaustellerinnen und Schausteller aus den sogenannten Völkerschauen, die für mehrere Tage oder wenige Wochen in Dortmund gastierten.

Wo trafen sich die Kolonialinteressierten in Dortmund?

Die Veranstaltungen fanden häufig im Sitzungssaal des historischen Rathauses, des Gewerbevereins (später des Industrie-Clubs) oder in renommierten Gaststätten wie dem Kölnischen Hof statt. Koloniale Großveranstaltungen fanden auch im Fredenbaum oder in der Kronenburg statt.

Die Kolonialkriegervereine trafen sich in Dortmund zunächst im „Bierstall“; später im Vereinslokal „Zum Afrikaner“, Friedrichstr. 3, das ein ehemaliger Kolonialsoldat aus Deutsch-Südwest (heute Namibia) führte. Eine weitere Gaststätte mit dem Namen „Zum Afrikaner“ und ebenfalls ein Treffpunkt der Kolonialinteressierten gab es in Dortmund-Bövinghausen. Außerdem gab es in einer Gaststätte in Dortmund-Sölde ein China-Zimmer, das von einem zurückgekehrten Kriegsteilnehmer eingerichtet wurde. In den 1920er Jahren kam als Versammlungsort die Gaststätte „Kasino“ in Dortmund-Schönau hinzu, die gleichfalls von einem ehemaligen Kolonialsoldaten geführt wurde.

Die Gaststätten „Transvaal“ und „Natal“ waren im Zusammenhang mit dem sogenannten Burenkrieg in Südafrika beliebte Treffpunkte der Buren-Sympathisanten.

Gab es Völkerschauen in Dortmund?

Ja, Völkerschautruppen gastierten schon ab 1879 in Dortmund, darunter im Fredenbaum die zahlenmäßig größten Völkerschauen wie etwa „Buffalo Bill’s Wild West“ und Hagenbecks Indien-Karawane. Die aufblühende Unterhaltungsindustrie (Walhalla, Olympia-Theater, Reichshallentheater etc.) engagierte häufig kleinere Gruppen z.B. Inder, Kirgisen, Irokesen, Buren, Sioux, Chinesen, Japaner oder auch Gruppen, die in der wissenschaftlichen Literatur als „Freaks“ bezeichnet werden (z.B. Maximo und Bartola – „die letzten lebenden Azteken“).

Eine weitere Gruppe stellten Schaustellungen im Rahmen von Zirkussen und Kirmessen dar. Der Zirkus Sarrasani war mehrfach mit Sioux in Dortmund, Zirkus Charles mit Chinesen usw. Auf Jahrmärkten gab es – selbstverständlich – Völkerschau-ähnliche Buden.

Was hatte das Kongo-N….dorf im Fredenbaum mit dem Kolonialismus zu tun?

Die Schaustellung „Kongonegerdorf“ wurde 1912 zur Eröffnung des neuen Luna-Parks, eine der größten Freizeitanlagen dieser Art in Deutschland, gezeigt. Die Herkunftsbezeichnung Kongo wird zu diesem Zeitpunkt auf besondere Aufmerksamkeit gestoßen sein, weil die grausamen Exzesse, die als Kongogräuel bekannt und auch in Dortmund für Empörung sorgten, noch gut bekannt gewesen sein dürften. Es kann aber auch sein, dass “Kongo” für die 1911 von Deutschland “erworbenen” Gebiete im “deutschen Kongo” (Nord-Kamerun) stand. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Völkerschau kam allerdings nicht aus dem Kongo sondern aus der deutschen Kolonie Togo.

Der Leiter der Truppe war übrigens Nayo C. Bruce aus Togo, der sich als Impressario selbstständig machte, nachdem er bereits 1896 an der Berliner Kolonialausstellung teilnahm. In Dortmund wurde am 20. April 1912 seine Tochter Cäcilia geboren, in einer Hütte an der Münsterstraße 272a, wie es in den Unterlagen des Dortmunder Standesamtes heißt. Cäcilia Bruce, die erste Schwarze Dortmunderin.

Was läuft falsch in der Welt?

Die Goldberge steigen im Westen und die Leichenberge im Süden“, bringt es Jean Ziegler im Jahre 2010 auf den Punkt. “Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, 47.000 Menschen sterben jeden Tag an Hunger und mehr als eine Milliarde Menschen, fast ein Sechstel der Menschheit, ist permanent schwerst unterernährt. Das Finanzkapital hat sich autonomisiert. Auf den Finanzplätzen der Welt zirkulieren täglich gemäß Weltbankstatistik ca. 1.000 Milliarden Dollar, die ihre monetäre oder juristische Identität wechseln. Davon sind nur 13 Prozent wertschöpfendes Kapital, z.B. eine Investition oder Bezahlung für eine Warenlieferung. 87 Prozent sind reines Spekulationskapital. Die Oligarchen dieses Spekulationskapitals, vollständig losgelöst von irgendeiner Realwirtschaft, beherrschen die Welt.”

 

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