Das antikoloniale Dortmund

Die syndikalistische Internationale Arbeiter-Assoziation rief 1925 zu antimilitaristischen Kundgebungen auf, um auf den Krieg in Marokko und die Lage in China aufmerksam zu machen. Die Dortmunder Syndikalisten reagierten darauf mit einem „großen antimilitaristischen Tag“, zu dem als Redner Erich Mühsam eingeladen wurde. Aber die Hochzeit der Dortmunder Syndikalisten ist bereits wieder vorbei und die KPD übernimmt zunehmend auch in antikolonialen Fragen die führende Rolle.

Mitte der 1920er Jahre entwickelte sich Antikolonialismus neben Antiimperialismus und Antimilitarismus als eine zentrale Säule im Weltbild der proletarischen Linken, die dabei, wie es scheint, die früheren deutschen Kolonien aus dem Blickfeld verloren.

Wer wissen will, wie der Kampf in den Kolonien steht, der komme!“,

so hieß es in Dortmund in der Einladung zur Kundgebung gegen Imperialismus und Kolonialunterdrückung, die im Rahmen des Kongresses der Liga gegen Kolonialgreuel stattfand. Als Redner angekündigt u.a. Nehru, der spätere erste Ministerpräsident Indiens, Senghor aus dem Senegal oder Fimmen für die Internationale Transportarbeiterföderation. „Die Kolonien“, das steht nun für alle Länder in Übersee: Der „Freiheitskampf der indianischen Bauern Boliviens“ ist ebenso ein Thema wie die Volksaufstände in Persien und Ägypten, die Politik des ANC in Südafrika oder auch die Ermordung von Sacco und Vanzetti oder die Anklage gegen die Scottsboro Boys (Kampagne der IAH zur „Freilassung der Negerjungarbeiter“) in den USA.

Heute abend geht alles in die Rifkabylenversammlung“,

so hieß es wiederholt in der kommunistischen Dortmunder Tageszeitung. Nicht nur in Dortmund, sondern auch in Lütgendortmund, Hörde, Lünen, Castrop-Rauxel und weiteren Städten der Umgebung. Achmed Hassan Mattar, „der Rifkabyle“, sprach im Auftrag der Internationalen Arbeiterhilfe über „die koloniale Unterdrückung und den Kampf der unterdrückten Völker um ihre politische und wirtschaftliche Freiheit“ im Allgemeinen und über den Befreiungskampf der Rifkabylen gegen Frankreich und Spanien im Besonderen.

Der Dortmunder Stadtverband der Kommunistischen Partei Deutschlands, die aus den Reichstagswahlen 1924 als stärkste Partei in Dortmund hervorging, veranstaltete Kundgebungen gegen den imperialistischen Krieg in Marokko und China und verknüpfte damit die Forderung „Hände weg von Sowjetrussland“. Die Ortsgruppe Dortmund der Internationalen Arbeiterhilfe führte die China-Veranstaltungen quasi flächendeckend in allen Stadtteilen durch, in Dortmund-Marten sogar mit einem Redner der KP Chinas, in chinesischer Sprache und ohne Übersetzung (es wurde lediglich eine schriftliche Zusammenfassung nach Vortragsende verteilt). Zu gleicher Zeit fanden auch Benefiz-Konzerte zugunsten der chinesischen Volksbefreiungsbewegung mit Eduard Soermus, „dem roten Geiger“, in Dortmund, Lünen und Marten statt.

Mit der bürgerlich-pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft waren gemeinsame Antikriegskundgebungen in Dortmund wohl nicht (mehr) möglich. Die Verhandlungen scheiterten, da die KPD – und wohl auch die anarcho-syndikalistische Freie Arbeiter Union -

nicht den revolutionären Krieg eines unterdrückten Kolonialvolkes ablehnen

konnten.

Das pro-koloniale Dortmund

Auf der anderen Seite: Konrad Adenauer wurde zum stellvertretenden Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft gewählt und auch Theodor Heuss begründete, warum er die Kolonien wiederhaben wollte.

Unsere Südseekolonien und warum sie für uns unentbehrlich sind!“,

hieß eine typische Vortragsveranstaltung der Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft im Saale der Kronenburg. Der Inhaber der Kronenbrauerei, Dr. Oskar Brand, stellt den Veranstaltungssaal und sein „guter Freund“ ist der Referent des Abends: Dr. Augustin Krämer, Professor für Völkerkunde an der Universität Tübingen und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie.

Die kolonialrevisionistischen Aktivitäten in Dortmund pendelten zwischen Geselligkeit und Rückgabeforderungen: Eine „Afrikanische Nacht“ veranstaltete der Kolonialkriegerverein im Kasino, einer Gaststätte in Dortmund-Schönau, die von einem ehemaligen Kolonialsoldaten geleitet wurde. Preisschießen, Kegeln, Kaffeetrinken der Damen, Ostereiersuchen, Kinderbescherung zu Weihnachten, Karnevalistische Sitzungen und Ausschmückung des Kolonialheims in der Gaststätte „Zum Afrikaner“ bildeten den geselligen Jahresablauf. Andererseits koloniale Gedenkfeiern, Totenehrungen, Teilnahme an kolonialen Propagandaaufmärschen und die Durchführung eigener Veranstaltungen, wie z.B. das Kolonialfest des eigenständigen „Schutztruppen- und Kolonialvereins“ in Dortmund-Hörde.
Höhepunkte im Vereinleben der ehemaligen „Kolonialsoldaten“ waren sicherlich die Vorbereitung und Durchführung von Reichs- und Landesweiten Kolonialtagungen in Dortmund. Die Reichskolonialtagung 1926 fand zwar in der Nachbarstadt Bochum statt, aber die Delegationen der Kolonialkriegervereine trafen sich in Dortmund. In der Einladung hieß es: „Den bereits im Laufe des Nachmittags ankommenden Kameraden werden die „Westphalenhalle“ und das Stadion, die größte Druckmaschine der Welt, Schiffshebewerke in Henrichenburg und Einrichtung und Stoff einer großen Brauerei gezeigt werden. Abends findet eine gemütliche Feier mit musikalischen Darbietungen statt.“ In den Augen der Zeitgenossen eine vielleicht etwas schrullige, aber doch harmlose Gesellschaft?

Keine Frage: Die Kolonialkriegervereine in Dortmund und Umgebung waren insgesamt Teil des antidemokratischen, deutsch-nationalen Spektrums. Bis 1933 ist in Dortmund im Unterschied zu Kolonialkriegervereinen in anderen Städten (z.B. Bochum, Essen, Bottrop, Gladbeck) allerdings keine unmittelbare Verflechtung mit der NSDAP und der SA nachweisbar. In Bochum etwa war der Vorsitzende des Kolonialkriegervereins (ab 1904 Kriegsfreiwilliger in Südwestafrika, Mitglied in Freikorps)  nicht nur gleichzeitig Landesvorsitzender der Kolonialkriegervereine von Rheinland und Westfalen sondern bereits vor 1933 hochrangiger Standartenführer der SA. Der Präsident der Kolonialkriegervereine, General von Epp (als Offizier u.a. an den Kolonialkriegen in China und Südwestafrika beteiligt, später Befehlshaber des nach ihm benannten Freikorps, das an den Kämpfen gegen die Rote Ruhr-Armee beteiligt war), wurde Spitzenkandidat der NSDAP in Bayern, nach 1933 Reichsstatthalter in Bayern.

Die IHK-Dortmund war zwar nicht unmittelbar Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft (jedoch Mitglied des Kolonialwirtschaftlichen Komitees), aber ihr Geschäftsführer Dr. Martin war “mit Genehmigung” der IHK Vorstandsmitglied der Dortmunder Abteilung. Kein Einzelfall, wie der Vergleich mit anderen Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet beweist. In einer Niederschrift über die Geschäftsführerbesprechung der Vereinigung der IHK des niederrheinisch-westfälischen Industriegebietes am 25.9.1925 zu Essen heißt es übrigens:

„Bezüglich des Beitritts zur Kolonial-Gesellschaft oder zum Kolonialwirtschaftlichen Komitee wird allgemein die Auffassung vertreten, dass Beitritt für die Kammern Pflicht sei.“

Auf eine Einladung der „Vereinigung für koloniale Einheit & Zukunft“, Ortsgruppe Dortmund, zu einer Veranstaltung mit Pater Schumm, antwortete die Kammer dankend „Einige Herren unserer Geschäftsstelle nehmen daran teil“. Gleiches gilt für andere Veranstaltungen in Dortmund, etwa die mit dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft, Gouverneur a.D. Seitz, oder mit dem als Kolonialheld gefeierten Generalmajor von Lettow-Vorbeck.

In der Leitung der Dortmunder Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft wechselten die Vorsitzenden häufig ab, u.a. waren tätig: Oberregierungsrat Priester (bis 1916 Bezirksamtmann in Kamerun, Leiter der Dortmunder Finanzverwaltung), und Baurat Schmidt (Direktor des Dortmunder Hafens und der Straßenbahnbetriebe, zuvor im Reichskolonialdienst tätig, u.a. im Hafen von Daressalam und zuständig für die Bewaffnung der deutschen Truppen in Südwestafrika).

Ende der 1920er Jahre entstanden – mit Verspätung und damit auch die Schwäche der Dortmunder Kolonialbewegung in der Weimarer Republik anzeigend - in Dortmund-Hörde die ersten explizit kolonialen Jugendorganisationen.

In der Zeit der Weimarer Republik scheint die organisierte Kolonialbewegung in Dortmund gut vernetzt zu sein im konservativen und monarchistischen Milieu, aber doch eher etwas marginalisiert und abseits der politisch relevanten Strömungen. Neu ist hingegen der „Kolonialismus des kleinen Mannes“, der mit den Kolonialkriegervereinen Einzug hält. Sie entstammten eher dem Milieu der unteren Beamtenschaft (Polizei, Post, Bahn) und der kleinen Selbstständigen und Facharbeiter. Trotz gelegentlicher gemeinsamer Aktionen: Kolonialsoldaten und Kolonialgesellschaft blieben strikt getrennt, zu groß waren die “feinen Unterschiede”, die wichtiger blieben als die eine Gemeinsamkeit.

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Koloniale Veranstaltungen in Dortmund

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