Das Deutsche Reich erklärte 1884 die südwestafrikanischen Gebiete, Togo und Kamerun als deutsches “Schutzgebiet”, 1885 folgten Deutsch-Ostafrika, Nord-Neuguinea und das Bismarck-Archipel im Pazifik. Vom 15.11.1884 bis 26.02.1885 fand in Berlin die Afrika-Konferenz statt: Vierzehn Staaten teilen Afrika untereinander auf und ziehen willkürliche Grenzen.

Handelskammer Dortmund und Kolonialpolitik

Nachdem die Handelskammer Dortmund schon seit einigen Jahren den “Eintritt Deutschlands in die Kolonialmächte” forderte, fand der formale Beginn der deutschen Kolonialherrschaft bei der Handelskammer Dortmund begeisterte Unterstützung. Gleich im ersten Satz des Jahresberichtes der Handelskammer Dortmund heißt es:

Das Jahr 1884 nimmt in den Annalen des deutschen Reichs eine hervorragende Stellung ein durch den Beginn einer neuen ebenso überraschend als glänzend inaugurierten Colonialpolitik“.

Schon ein Jahr später scheint sich eine gewisse Ernüchterung breit gemacht zu haben: „Soweit bis jetzt die Erwerbungen zu übersehen sind, verbietet deren tropische Natur und Lage die Ansiedelung weißer Bauern und Arbeiter“. In Folge davon „findet unser Überschuß an arbeitswilliger Menschenkraft in denselben noch nicht die gewünschten Asyle“, um dann weiter auszuholen, dass sich „alljährlich ein stattliches Heer besitzender, arbeitswilliger Deutschen auf Nimmerwiedersehen über die Nord- und Westgrenze verschiebt, während vom Osten her lautlos und leise slawische Einwanderung das Germanenthum zurückdrängt.“

Kolonialismus und Globalisierung bedeuteten auch neue praktische Aufgaben für die Handelskammer: Die Plenarsitzung vom 21. Januar 1885 z.B. beschloß „lebhafte Unterstützung einer Reclamation“ der Handelskammer Solingen zum Handelsvertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien bzgl. Cuba. Man müsse der Monroedoktrin entgegentreten. Oder die für den Welthandel notwendige Sprachausbildung junger Dortmunder Kaufleute in Türkisch, Suaheli, Japanisch, Chinesisch, Hindostanisch, Persisch oder Arabisch: Die Handelskammer beschloß 1888, die „hiesigen industriellen und wirthschaftlichen Kreise“ über Fortbildungsangebote zu informieren.

Die Dortmunder Kolonialbewegung entsteht

Die – vermutlich – erste koloniale Vortragsveranstaltung organisierte der Deutsche Kolonialverein in Dortmund am 27. Oktober 1884 über „Land und Leute in Argentinien“; Vortragender war Ernst Bachmann, Chefredakteur der deutschsprachigen La-Plata-Zeitung aus Buenos Aires. Die frühe Kolonialbewegung hatte zwei Standbeine: Die Gründung von deutschen Siedlungskolonien (auch in anderen Ländern/ ehemaligen Kolonien) und die imperialistische Kolonial-, Weltmachts- und Wirtschaftspolitik.
Die Dortmunder Mitglieder des Deutschen Kolonialvereins bildeten zunächst noch keinen regionalen Zweigverein. 1887 wurde zunächst eine Abteilung Dortmund der konkurrierenden „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ vom Südwestafrika-erfahrenen Bergrat Dr. Busse (Oberbergamt Dortmund) gegründet. Nach dem Zusammenschluss der beiden Verbände zur Deutschen Kolonialgesellschaft wurde dann im Januar 1888 die Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft ins Leben gerufen. Vorstandsmitglieder waren die stadt- (und weit darüber hinaus) bekannten Industriellen aus Eisen, Stahl, Maschinenbau, Kohle und Bier; im Übrigen praktisch personalidentisch mit dem Vorstand der Handelskammer Dortmund. In Dortmund und darüber hinaus in allen Städten des Ruhrgebiets waren die wesentlichen Akteure der organisierten Kolonialbewegung zugleich in führenden Positionen des Centralverbands Deutscher Industrieller, des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute oder des Kohlensyndikats tätig.
Die Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft organisierte regelmäßig Informationsveranstaltungen über koloniale Themen, denn es galt, die Kolonien in das Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen. Allerdings blieb der Erfolg auf die Industriellen und Bildungseliten beschränkt. Offensichtlich zu elitär gab sich die Kolonialbewegung, die mit ihrem Standesdünkel weite Teile der Bevölkerung quasi ausschlossen. Der Versuch, eine örtliche Abteilung des „Deutschen Frauenvereins für Krankenpflege in den Kolonien“ zu etablieren, misslang (soweit derzeit bekannt). Selbst der Versuch, im Anschluss an die Antisklavereibewegung ein örtliches Emin-Pascha-Komitee ins Leben zu rufen und so katholische und evangelische Christen näher an die Ziele der Kolonialbewegung heranzuführen, misslang. Eine Veranstaltung mit dem (noch) populären Carl Peters besuchten in Dortmund gerade einmal 50 Personen. Für Patriotismus sei der Eintrittspreis wohl zu hoch gewesen, lästerte eine linksliberale Dortmunder Tageszeitung.
Einer der größten „Erfolge“ der Abteilung Dortmund der Deutschen Kolonialgesellschaft war 1889 die Aufdeckung und Verurteilung des Bergmanns Brinkmann, der in Dortmund-Eving und Umgebung über 100 Bergleute zur “Auswanderung nach Peru” verleiten wollte.
Ungewöhnlich in Dortmund und in ganz Deutschland: 1890 referiert im Rahmen einer Veranstaltung der Deutschen Kolonialgesellschaft ein namentlich nicht genannter Kameruner. Der ehemalige Sekretär des Forschers Dr. Flegel habe  “in tadellosem Deutsch und bester Manier” über die Verhältnisse in Kamerun berichtet.

Evangelische Synode Dortmund finanziert Herero-Mission

Bereits mehr als 30 Jahre lang war inzwischen im evangelischen Dortmund die Mission im fernen Hereroland Gegenstand der religiösen Unterweisung im Religionsunterricht, im Konfirmandenunterricht, in Jugendstunden, in Arbeitervereinen oder in Missionsgruppen. Die Projektionsfläche für vielerlei Phantasien verwandelte sich in ein reales Reich: Aus Herero- und Namaland wurde Deutsch-Südwestafrika – und die universelle Mission mutiert in wenigen Jahren zur deutschen Kolonialmission. Der Missionsverein der Grafschaft Mark übernimmt ab 1886 die Finanzierung der Hereromission in Deutsch-Südwestafrika. Die Kreissynode Dortmund schließt sich dem per Synodalbeschluss an; die Hereromission und deutsche Kolonie werden so zum permanenten Gegenstand des religiösen Jahres (z.B. über Kollekten bei Taufe, Religions- und Katechumenenunterricht, Konfirmation, Heirat, Krankheit oder Tod).
Beim evangelischen Kreissynodalmissionsfest 1885 in St. Marien nahm – vermutlich zum ersten Mal – ein zurückgekehrter Missionar teil (W. Ködding aus Sumatra, Batak-Mission). Fortan kommen jedes Jahr Missionare nach Dortmund, die, auf Heimaturlaub oder auf Dauer zurückgekehrt, über die Missionserfolge berichten, sich an der die religiösen Erbauung der Heimatgemeinden beteiligen und – wichtig! – Spendenakquise betreiben.

Afrika-Verein Dortmunder Katholiken

Nur zehn Tage nach Gründung des Afrika-Vereins deutscher Katholiken wird am 10. Dezember 1888 in Dortmund ein Zweigverein ins Leben gerufen. Propst Löhers, so berichtet die katholische Tageszeitung „Tremonia“ „wies in einer längeren Ansprache auf die Gräuel in Afrika, die Verwendung des hl. Vaters und des Kardinal Lavigerie für die armen Neger hin und ermunterte eindringlich zur Gründung eines so edlen Zieles verfolgenden Zweigvereins in unserer Stadt. Sofort erklärten sich sämtliche 38 erschienenen Herren bereit, sich gleich als Zweigverein für Dortmund zu konstituieren. An der kath. Bürgerschaft ist es nun, durch zahlreichen Beitritt zu zeigen, daß sie gewillt ist, mit aller Kraft zu streben, um die armen Neger aus den Gräueln der leiblichen Sklaverei wie aber auch aus der Finsternis des Heidentums zu erretten.“

Wo bleiben die Kolonialkritiker in Dortmund? Die sozialdemokratische Partei ist in Folge des sogenannten Sozialistengesetzes („wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) von 1878 bis 1890 verboten, so dass für Dortmund keine kolonialkritischen Äußerungen bekannt sind. Das wird sich aber in Kürze ändern.

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Koloniale Veranstaltungen in Dortmund

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