Sozialdemokrat im Ehrenausschuss der Dortmunder Kolonialausstellung

Mit dem Versailler Vertrag gingen die deutschen Kolonien „verloren“, wie die typische kolonial-revanchistische Redewendung hieß, und der Kolonialrevisionismus betrat die Bühne. In der Metropole wie in der Provinz: Gustav Noske, kolonialpolitischer Sprecher der SPD, forderte als Erstunterzeichner die Rückgabe der deutschen Kolonien und arbeitete Hand in Hand mit Freikorps, deren führende Kräfte wesentliche Erfahrungen in den Kolonialkriegen gesammelt hatten. Der Vorsitzende des Dortmunder Arbeiter- und Soldatenrats, Ernst Mehlich, wurde Volkskommissar für die Stadt- und Landkreise Dortmund, Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung in Dortmund, Reichs- und Staatskommissar für das rheinisch-westfälische Industriegebiet, Mitglied des Provinzial-Landtags, des Preußischen Staatsrats … und Mitglied im Ehrenausschuss der ersten Dortmunder Kolonialausstellung, die 1922 die Rückgabe der deutschen Kolonien forderte.

Die Kolonialbewegung in Dortmund reorganisierte sich nach Kriegsende unter erschwerten Bedingungen – Novemberrevolution, rote Ruhrarmee, Ruhrbesetzung, Inflation – und forderte zentral die Rückgabe des früheren „Kolonialbesitzes“. Die drei tragenden Gruppen – die Deutsche Kolonialgesellschaft, der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft und der bzw. die  Kolonialkriegervereine – setzten ihre Arbeit im Übergang zwischen Kaiserreichs und Republik personalidentisch fort, lediglich unterbrochen in der Zeit der französisch-belgischen Besetzung 1923-24, in der die koloniale Propagandaarbeit nicht öffentlich fortgesetzt werden konnte.

Schwarze Schmach – Kampagne

Die Vollversammlung der Handelskammer Dortmund nahm bereits am 14.2.1919 den Aufruf „Deutsches Volk, brauchst Du Kolonien“ zur Kenntnis und die Handelskammer wurde erneut Mitglied des „Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees“, also des Wirtschaftlicher Ausschusses der Deutschen Kolonialgesellschaft.

Das Flugblatt „Notruf wider die schwarze Schmach“ kursierte 1922 auch in Dortmund. Bezuggenommen wird darin auf die „schwarzen Kolonialtruppen“, die in einigen der bereits besetzten Gebiete eingesetzt wurden. Die Handelskammer Dortmund erhielt bereits vor der Besetzung Dortmunds eine Mitteilung des Staatskommissars für öffentliche Ordnung bzgl. der „Einreise einer getarnten dreiköpfigen Spezialkommission des französischen Kriegsministeriums zur Untersuchung des voraussichtlichen Verhaltens von Wirtschaft und Bevölkerung des Ruhrgebietes bei Besetzung durch schwarze Kolonialtruppen (Sabotage an Anlagen, länger dauernde Streiks, allg. Aufstand)“. Die später erfolgende Besetzung des Ruhrgebiets erfolgt dann allerdings ohne „schwarze Kolonialtruppen“.

Die rassistische „schwarze Schmach“-Propaganda, deren Wurzeln eindeutig im Kolonialismus liegen, funktionierte hingegen auch ohne realen Bezug. Unterstützend dürfte das Showgewerbe gewirkt haben: Im Dortmunder Bierpalast-Theater, Münsterstr. 19, wird im August 1922 „Die schwarze Schmach“ aufgeführt, ein „Sensationsschauspiel in 3 Bildern aus den Leidenstagen des besetzten Gebietes.
I. Die Franzosen kommen.
II. Vergewaltigt!
III. Die Vergeltung
“.

Kolonialkriegerverein organisiert Kolonialausstellung

Der Dortmunder Kolonialkriegerverein, nun unter dem Namen Verein ehemaliger Schutztruppler, Kolonialkrieger und Chinakämpfer, erschien erstmals wieder 1921 in der Öffentlichkeit anlässlich der Teilnahme an der Beerdigungsfeier für Generalmajor Wilhelm Müller. Müller war der letzte Kommandeur der „Kaiserlichen Schutztruppe“ in Kamerun und bis 1921 Vorsitzender des Kolonialkriegerdanks. In der Generalversammlung am 26.07.1922 wurde die Auflösung des Vereins und die Neugründung als „Vereinigung für koloniale Einheit und Zukunft, Ortsgruppe Dortmund“ beschlossen, damit die „Kolonialkriegervereine vereint mit der Deutschen Kolonialgesellschaft eine großzügige Propaganda zur Wiedererlangung der uns geraubten Kolonien betreiben“.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und dem Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft fand ab dem 05.10.1922 in der Kronenburg, dem Veranstaltungssaal der Kronen-Brauerei, die erste Kolonialausstellung in Dortmund statt.  In seiner Eröffnungsrede sagte Dortmunds

Oberbürgermeister Eichhoff: „Deutschland braucht Kolonien“.

Die Exponate stammten aus Beständen der Deutschen Kolonialgesellschaft Berlin und der Rheinischen Missionsgesellschaft Wuppertal sowie aus Leihgaben Dortmunder Kolonialsoldaten, die ihre kolonialen Souveniers und Beutekunst bereitstellten. Höhepunkt bildete der Lichtbildervortrag von General Märcker im großen Saal der Kronenburg. Märcker war Präsident des kurz zuvor gegründeten Deutschen Kolonialkriegerbundes, davor seit 1888 als Offizier an den deutschen Kolonialkriegen in Ostafrika und Südwestafrika aktiv beteiligt und – nach dem Krieg in Abstimmung mit Ebert und Noske – Gründer des Freikorps „Landesjäger“ und entscheidend an der Niederschlagung der Revolution beteiligt. Nach 1933 wird in Dortmund eine Straße nach Märcker benannt.

Kolonialpropaganda und Ruhrbesetzung

Die Propagandaarbeit der Kolonialbewegung stockte 1923 in Folge der Ruhrbesetzung. Die Vereinigung für koloniale Einheit und Zukunft führte in der Gaststätte Zum Afrikaner, Friedrichstr. 3, „trotz Besatzung und Belagerungszustand die Jahreshauptversammlung durch“ und „gaben die Anwesenden ihren flammenden Protest gegen die erfolgte Besetzung des Ruhrgebiets kund“. Die Aktivitäten wechselten zwischen geselliger Unterhaltung („Zusammenkunft im Gartenrestaurant Berthold in Cörne mit Damen. Für Unterhaltung – Kegeln und Schießen – ist Sorge getragen“, „blieben die Kameraden wie an einer frisch  gefundenen Wasserstelle lange gemütlich zusammen“) und der Durchführung kolonialer Gedenkfeiern (z.B. „anläßlich der 40jährigen Wiederkehr der Besitzergreifung unserer Kolonien“ oder „Gedächtnisfeier aus Anlaß der Wiederkehr der Schlacht bei Tanga“). Mitglied werden konnte im Übrigen „jeder ehrenwerte Deutsche, welcher in und für die Kolonien gewirkt oder gedient hat, oder mindestens 1 Jahr in außerheimischen Gewässern oder auf dem Balkan tätig war“. Inflationsbedingt wies die Kasse einen Bestand von 12 Billionen Mark auf. Bei einem Familienabend im Bergschloßkeller zum Ende der Besetzungszeit wies der Vorsitzende „auf die zu leistende Aufklärungsarbeit hin. Die Ausführungen, welche auf den Kampf um die Wiedergewinnung unserer Kolonien hinzielten, wurden durch reichen Beifall belohnt. Es wurde eine große Propaganda für die Kolonien beschlossen. Sobald die Besatzung abgerückt ist, soll die bereits bestandene Tätigkeit intensiv erhöht werden“.

Sacco und Vanzetti, Rif-Kabylen, Abschiebung von Flüchtlingen

Wenn auch nur vorübergehend – Syndikalisten und Anarchisten waren kurz nach dem ersten Weltkrieg ein relevanter Teil der Dortmunder Arbeiterbewegung und die syndikalistischen, gewerkschaftlichen Organisationen in jedem Stadtteil und vor allem im Bergbau vertreten. Zwischen Marten und Wickede, Mengede und Aplerbeck fanden ab 1921 Protestveranstaltungen von syndikalistischen Bergarbeitern gegen die geplante Ermordung von Sacco und Vanzetti in den USA oder gegen die  Abschiebungen von politischen Flüchtlingen nach Spanien und Italien statt. Und parallel dazu: Der Kampf der Rif-Kabylen in Marokko um ihre Unabhängigkeit, die Revolution in China, der gewaltlose Widerstand von Ghandi in Indien, die Unterdrückung der Sozialrevolutionäre in Rußland.

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